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Apologetik

Warum ist Wahrheit wichtig?

Vier Argumente, warum wir uns neu auf die Suche nach Wahrheit machen sollten

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7. September 2023
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8 min
Zeitungen

»Guttenberg soll bei Doktorarbeit abgeschrieben haben« (SZ) 

»Donald Trump über Joe Biden: ‚Er hat gewonnen, weil die Wahl manipuliert war‘« (Der Spiegel) 

»Putin gibt Westen Schuld an Ukraine-Krieg« (ZDF)  

 

Unsere Medien sind voll mit Nachrichten, Spekulationen und Fake News. Dahinter steckt eigentlich immer ein Ringen um Wahrheit. Was ist wirklich passiert? Entweder haben Guttenberg, Schavan und Giffey bei ihrer Doktorarbeit geschummelt – oder eben nicht. In der Ukraine tobt entweder eine ‚Special Operation‘ oder ein Krieg. Wer hat recht? Wer ist schuld? Welche Bilder entsprechen der Realität? 

Es geht um Wahrheit.  

Überall, ständig. 

Und irgendwie ist es kompliziert.  

 

 

Wann ist das mit der Wahrheit so kompliziert geworden? 

 

So einfach war das mit der Wahrheit zugegebenermaßen noch nie. Deswegen streiten sich Philosophen auch seit Jahrtausenden darüber. Jemand geht raus, sagt es ist kalt. Stimmt das? Ein anderer geht raus und sagt es ist warm. Wer lügt?  

Okay, uns ist allen klar, dass einer etwas als warm empfinden kann und ein anderer als kalt. Meine Wahrheit, deine Wahrheit – das ist nicht immer falsch. Aber wann ist es denn dann wirklich kalt? Wenn, sagen wir mal, einem Großteil der Gruppe kalt ist (in der Philosophie nennt man das Kohärenztheorie der Wahrheit)? Oder ist es ab einer bestimmten Temperatur, z.B. 4 Grad, kalt (entspricht der Korrespondenztheorie der Wahrheit)? Aber wer legt dann fest, ab welcher Temperatur es kalt ist? Und wer hat überhaupt festgelegt, dass 0 Grad 0 Grad sind?  

 

Die Sache mit der Wahrheit – sie finden, erkennen und benennen – ist gar nicht so leicht. Und heute ist alles noch ein kleines Stückchen komplizierter geworden.  

Warum? 

 

Der neue Wahrheitsbegriff unserer postmodernen Gesellschaft 

 

Erstens, weil wir als Gesellschaft heute nicht mehr davon ausgehen, dass es eine absolute Wahrheit gibt. Als Christen haben wir eine eigene Wahrheitstheorie: Unsere Wahrheit ist „Offenbarung“, sie kommt in Jesus personifiziert zu uns (vgl. Joh 14,6). Ohne einen Gott, der sich offenbart, gibt es diese absolute Referenz nicht. Dann sind ‚richtig‘ und ‚falsch‘ dehnbare Kategorien. Dann haben Menschen deshalb Würde, weil wir uns als Gesellschaft darauf geeinigt haben. ‚Alternative Fakten‘ sind die logische Konsequenz einer Gesellschaft ohne absolute Wahrheit. 

 

Zweitens hat sich unser postmoderner Zugang zur Wahrheit verändert. Wahr ist nicht mehr, was kognitiv nachvollzogen, sondern emotional nachempfunden werden kann. Das Empfinden steht über dem Erkennen. Wenn ich mich verletzt fühle, wurde ich verletzt. Wenn ich mich als Frau fühle, bin ich eine. Wahrheit wird damit subjektiv – und relativ.  

 

Wahrheit – ein ohnehin schon herausforderndes Thema wird in unserer Gesellschaft zum Minenfeld. 

 

 

Warum ist Wahrheit immer noch wichtig?  

 

Wichtig ist erstmal: Nicht alles an unserem postmodernen Zugang ist Quatsch. Du darfst frieren, auch wenn 21 Grad sind. Deine Gefühle sind wichtig und wenn du dich ungeliebt fühlst, kannst du das nicht einfach mit einem Schulterzucken abtun!  

Und trotzdem müssen wir unseren Wahrheitsbegriff reflektieren, Chancen, aber auch Gefahren erkennen. Früher war das Gegenteil von Wahrheit Lüge. Lügen ist falsch. Das ist allen klar. Aber heute ist das Gegenteil von Wahrheit Beliebigkeit. Beliebigkeit ist gefährlich – und das übersehen wir oft. Hier kommen deswegen 4 Argumente, die uns daran erinnern, dass Wahrheit nicht egal ist.  

 

1. Was wir für wahr halten, bestimmt, wie wir handeln 

 

Wahrheit ist wichtig, weil sie uns in die Praxis führt (in der Philosophie spricht man von der performativen Wahrheitstheorie). Jesus betet: „Mach sie durch die Wahrheit zu Menschen, die ganz für dich da sind!« (Joh 17,17 NeÜ) Wenn wir es für wahr halten, dass Jesus alles für uns gegeben hat, werden wir auch unser ganzes Leben für ihn geben. Wenn wir es für wahr halten, dass jedes Leben Würde hat, werden wir als Gesellschaft Raum für alte, kranke und behinderte Menschen schaffen. Wenn wir es für wahr halten, dass uns nichts von Gottes Liebe trennen kann, werden wir Gottes Vergebung in Anspruch nehmen, auch wenn wir versagen. Anders gedacht: Wenn wir uns nicht sicher sind, ob es nach dem Tod wirklich weitergeht, dann müssen wir in diesem Leben plötzlich doch die maximale Erfüllung finden. Ohne Wahrheit fehlt uns ein Maßstab zum Handeln und Orientierung in Entscheidungen. 

 

 

2. Relativismus ist eine Lüge 

 

Ein hinduistisches Gleichnis veranschaulicht unser postmodernes Verständnis zur Wahrheit: Eine Gruppe Blinder beschreibt einen Elefanten. Einer berührt den Rüssel und vergleicht ihn mit einer Schlange. Ein anderer streichelt die Ohren und vergleicht sie mit einem Fächer. Einer legt seine Hand auf den Fuß des Elefanten und spricht von einem Baumstumpf. Einer hält den Schwanz und denkt an ein Seil. Die Lektion: Genauso, wie jeder Blinde mit seinem begrenzten Zugang zur Wirklichkeit richtig liegt, beschreiben auch die unterschiedlichen Überzeugungen, Weltanschauungen und Religionen einen Teil der Wahrheit – sofern er ihnen zugänglich ist. Deine Wahrheit, meine Wahrheit. Dein Jesus, mein Jesus. Alles plötzlich möglich. Erstmal klingt das tolerant. Jeder beansprucht demütig nur einen Teil der Wahrheit für sich. Würden wir so leben, so die Theorie, gäbe es keine Konflikte mehr und z.B. endlich Frieden zwischen den Religionen. 

 

Das Problem an der Geschichte: Sie funktioniert nur, weil es einen Erzähler gibt, der das ganze Bild sieht. Sie funktioniert nur, weil es eine absolute Wahrheit gibt: Ein Tier namens Elefant mit Beinen wie ein Baum und fächerartigen Ohren. In dem Moment, wo ich anderen nachsichtig lächelnd ihren absoluten Wahrheitsanspruch abspreche (»du siehst das so, Karl sieht das so, ihr habt beide recht«), beanspruche ich die absolute Wahrheit für mich. Ich behaupte, der Erzähler zu sein, der das ganze Bild sieht. In dem Moment, in dem ich relativiere „es gibt keine absolute Wahrheit, ihr habt alle recht“, stelle ich eine absolute Behauptung auf, die genauso radikal ist wie Jesus, wenn er sagt: „Zum Vater kommt man nur durch mich“ (Joh 14,6 NeÜ). Relativismus ist letztlich eine Lüge, ein Widerspruch in sich. Irgendeine Wahrheit muss es geben. Die Frage ist: Welche? An irgendeine Wahrheit glaubt jeder – da macht es doch Sinn, sicherzustellen, dass die eigene Weltanschauung mit der Wirklichkeit übereinstimmt. 

 

 

3. Wahrheit ist die beste Verteidigung 

 

Teil unserer Waffenrüstung sind „die Hüften umgürtet mit Wahrheit“ (Eph 6,14 NeÜ). Als Christen stehen wir immer wieder im Kreuzverhör: Wo ist denn dein Gott im Leid? Wie passt dein Glaube zu den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen? 

Das Sprichwort „Angriff ist die beste Verteidigung“ ist nicht ganz falsch. Aber Wahrheit ist am Ende die bessere Verteidigung. Wir spielen mit unseren Teens gerne Mord im Dunkeln, wo ein „Mord“ aufgeklärt werden muss. Nach jeder „Nacht“ müssen drei Teens Verteidigungsreden halten. Meistens merkt man schnell, wer schuldig ist. Denn der „Mörder“ muss sich eine komplizierte Lügengeschichte ausdenken – wo hat er sich wann aufgehalten und wem ist er begegnet!? Die „Unschuldigen“ müssen lediglich ehrlich sagen, was sie in der Nacht getan haben.  

 

Wenn Gott wirklich ist, dann können wir das authentische, wahrhaftige und aufrichtige Leben führen, nach dem sich unsere Gesellschaft sehnt. Dann müssen wir uns für unsere Überzeugungen nicht verstecken. Dann wird Gottes Wahrheit auch wissenschaftlichen Ansprüchen standhalten. Dann können Skeptiker die Historizität Jesu in Frage stellen, die Überlieferung der Bibel und die Glaubwürdigkeit der Auferstehung. Sie können mit Blick auf brenzlige sexualethische Fragen hinterfragen, ob Gott wirklich gut ist. Aber wer die Wahrheit auf seiner Seite hat, kann sich diesen Rückfragen mutig stellen. Ohne Wahrheit müssten wir hingegen die ganze Zeit Angst haben, dass unser Glaube mit der nächsten kritischen Anfrage in sich zusammenfällt.  

 

 

4. Ohne Wahrheit keine Gerechtigkeit, Veränderung und Heilung 

 

Kurz nach der bekannten Johannes-3-Vers-16-Stelle erklärt Jesus: „Wer Böses tut, scheut das Licht. Er kommt nicht ans Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden. Wer sich aber nach der Wahrheit richtet, tritt ans Licht…“ (Joh 3,20-21 NeÜ). Das Prinzip ist klar: Wer etwas zu verbergen hat, meidet Licht. Wer gelogen hat hofft, dass Menschen nicht nachbohren. Wer Pornos guckt verbirgt seinen Suchverlauf. Aber wer sich nach Wahrheit sehnt, den zieht es ans Licht.  

 

Als Gott Licht schuf, wurde zunächst Chaos sichtbar. Doch im Licht wurde das Chaos schließlich geordnet (Genesis 1,2-4). Genau dieses Prinzip kam zum Tragen, als 2017 zahlreiche Frauen unter dem Hashtag #metoo ihre Erfahrungen mit Sexismus und Missbrauch teilten. Die Moderatorin Oprah Winfrey betonte: „Ich bin mir sicher, dass die Wahrheit das mächtigste Instrument ist, das wir besitzen.“ Was hat diese Frauen bewogen, ihre (oft mit einem Gefühl der Scham behafteten) Geschichten öffentlich zu machen? Es war die Hoffnung auf Gerechtigkeit. Die Hoffnung, dass Wahrheit ans Licht kommt, Täter zur Rechenschaft gezogen werden und kaputte Machtstrukturen in der Gesellschaft (hier v.a. in der Filmbranche) offenbar und verändert werden.  

Wahrheit ist letztlich deshalb so mächtig, weil nur sie die Gerechtigkeit ermöglicht, nach der wir uns als Gesellschaft so sehnen. Und es ist Wahrheit, die uns in die Arme Gottes treibt – wo unsere Herzen in seinem Licht überführt und von seiner Liebe verändert werden. 

 

 

Warum Wahrheit nicht immer das „einzig Wahre“ ist 

 

Die Sache mit der Wahrheit ist kompliziert. Aber sie ist wichtig. Und ich glaube, wir müssen uns als Gesellschaft auf den Weg machen, neu zu verstehen, warum Wahrheit so wichtig ist. Und wenn wir das verstanden haben, dann sollten wir alles daransetzen, die Wahrheit zu finden. Warum bin ich hier? Wie ist Gott wirklich?  

 

Trotzdem ist noch eine Erinnerung am Schluss wichtig: Wir Christen tappen manchmal in die „Wahrheitsfalle“. Wir schimpfen über die Gesellschaft, über den Relativismus, über den lockeren Umgang mit Wahrheit. Wir pochen wieder und wieder darauf, dass Jesus die Wahrheit ist und alle Nichtchristen falsch liegen. Wir werfen mit Fakten um uns. Und – niemanden interessiert es. 

Ich glaube, wir müssen neu lernen, die immergleichen Wahrheiten des Evangeliums in eine postfaktische Kultur zu kommunizieren. Ich glaube, wir müssen uns neu daran erinnern, dass das Evangelium wahr und gut ist – und manchmal müssen wir lernen, das gut mindestens ebenso zu betonen wie das wahr. 

 

Wahr und gut – das gehört zusammen! Wenn etwas gut ist, aber nicht wahr – dann ist es trügerisch. Eine Illusion. Ich will mein Leben nicht auf ein Märchen bauen. Keiner will das. Wie gesagt: wir brauchen Wahrheit, um handlungsfähig zu werden. Aber: Wenn etwas wahr ist, aber nicht gut – dann ist das tragisch. Dann stehen wir einer kaltherzigen Wahrheit gegenüber, blankem Entsetzen, Alternativlosigkeit. Dann zieht uns nichts zu dieser Wahrheit, der wir am Ende trostlos ausgeliefert sind. Genau das ist aber leider das Zerrbild, das viele Menschen heutzutage vom christlichen Glauben haben, gegen den sie sich entscheiden.  

 

Wie gut, dass die Gute Nachricht beides in sich trägt: Sie ist wahr und gut! Bei keinem von beidem sollten wir Kompromisse eingehen. Aber wir können an den Zugängen arbeiten, die wir anbieten. Unsere Gesellschaft stellt Ethik vor Erkenntnis. Gut ist wichtiger als wahr. Plaise Pascals Worte könnten für unsere Gesellschaft kaum relevanter sein: „Bring Menschen an den Punkt, dass sie sich wünschen, das Christentum wäre wahr. Und dann zeig ihnen, dass es tatsächlich wahr ist.“ Vielleicht müssen wir bei aller Liebe zur Wahrheit nachtrainieren, den Fokus auch auf das Gute des Evangeliums zu legen. Und wenn Leute dann begeistert sind von diesem Jesus, von dem wir ihnen erzählen – dann können wir ganz entspannt zeigen, dass diese Nachricht eben kein schönes Märchen ist, sondern eine Wahrheit, die ihr Leben auf den Kopf stellen wird. 

 

 

 

 

Der Artikel ist auch erschienen in PERSPEKTIVE 04-2023, www.cv-perspektive.de