Leben ohne Schatten ist Leben ohne Sonne…

Brauchen die Menschen das Böse um einen Gegenpol für das Gute zu haben? Kann das Böse einen Sinn haben?
Leben ohne Schatten ist Leben ohne Sonne…

Wenn ich mit anderen über Gott, die Sünde, den Teufel und das Böse in der Welt rede, treffe ich immer wieder auf eine interessante Vorstellung: Das Böse ist eigentlich gar nicht so böse. Denn es muss auch Böses in der Welt geben, sonst weiß man ja gar nicht was das Gute ist. Eine Welt, in der alles gut ist, wäre eigentlich langweilig. Dass sich Gut und Böse gegenüberstehen und sozusagen miteinander kämpfen, das macht das Leben spannend und abwechslungsreich. Manchmal endet die Argumentation sogar mit dem Vergleich:

„Wenn du dein ganzes Leben lang Urlaub hättest, wäre das auch irgendwann öde.“

Gehören Gut und Böse, Freude und Schmerz, letztendlich Gott und der Teufel zusammen wie Tag und Nacht? Sind es einfach zwei Seiten einer Medaille und wichtig ist nur, dass sie im richtigen Gleichgewicht stehen?

Fernöstliches Denken

Vermutlich macht sich hier der Einfluss fernöstlichen Denkens bemerkbar. In der chinesischen Philosophie stehen Yin und Yang für komplementäre Gegensätze, die entgegengesetzt sind und doch zusammen gehören und erst zusammen ein Ganzes ergeben. Dunkel und hell, weiblich und männlich, gebend und empfangend, kreativ und rezeptiv – das ganze Leben ist gekennzeichnet von gegensätzlichen Kräften, die aber nur miteinander zu denken sind und in ihrer Spannung das Leben und alle Dinge hervorbringen. Und wenn beide Pole zu ihrem Recht kommen ergibt das eine Harmonie. Allerdings lässt sich das Verhältnis von Yin und Yang gerade nicht mit dem Gegensatz von Gut und Böse vergleichen, ist das Ziel doch ein gutes Leben.

Wohlstandsphilosophie

Dem Gedanken vom „guten Bösen“ kann nur jemand nachhängen, der selbst im Wohlstand, in Ruhe und Sicherheit lebt. Wer unter dem Bösen wirklich zu leiden hat, ob durch andere Menschen, durch Krieg oder Ungerechtigkeit, der kann auf diese Art von „Spannung“ und „Abwechslung“ sicher gern verzichten. Spätestens wenn man diese Theorie einem Holocaust-Überlebenden erklären müsste, würde deutlich, wie makaber und menschenverachtend sie ist. Denn dann musste es die Konzentrationslager ja geben, sonst würden wir unseren Rechtsstaat gar nicht richtig schätzen können.

Nein, wer sich nur ansatzweise hinein vertieft in das, was Menschen in Geschichte und Gegenwart angetan wurde und wird, der kommt zu dem Urteil: Das Böse ist wirklich böse. Es verletzt, zerstört und es ist absolut sinnlos.

Und wer dazu noch in die Bibel schaut, kommt zu der Erkenntnis: Das Böse in der Welt ist die Folge der Sünde und des Teufels und es ist durch und durch böse. Es widerspricht dem, was Gott für die Menschen und seine Welt gedacht hat. Gott will es eigentlich nicht und deshalb wird er es besiegen und beseitigen. Gott wird mit der Sünde, dem Tod und dem Teufel fertig. Diesen Ausblick gibt die Bibel in ihren letzten Kapiteln (Offenbarung 20,10 + 14).

Keine Tränen mehr

Dort lässt sich auch entdecken, was Gott eigentlich vorhat. Das, was wir oft „Himmel“ nennen (und die Bibel als neue Erde bezeichnet) wird eine Welt sein, in der das Böse keinen Raum mehr einnimmt und die Folgen davon unbekannt sind:

„Und er wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der, welcher auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu.“ (Offenbarung 21,4-5)

Alles wird nur gut sein, weil Gott gut ist und seine Herrschaft alles durchdringen wird.

Und trotzdem wird es mit Sicherheit nicht langweilig. Der Vergleich mit dem lebenslangen Urlaub ist deshalb absolut fehl am Platz. Denn auch wenn im ersten Moment die Ferien erstrebenswerter erscheinen als der Alltag, Urlaub und Arbeit sind kein Gegensatz. Arbeit ist etwas sehr gutes, ja für den Menschen sogar lebensnotwendiges, wie jeder unfreiwillig Arbeitslose bestätigen wird. Auch im Himmel wird es eine Menge schöner Arbeit geben. Denn wenn es in dieser Welt schon so viel zu entdecken und gestalten gibt, wie viel mehr wird das erst in Gottes neuer Welt der Fall sein?

Sinnlos aber nicht umsonst

Etwas anderes ist es übrigens, wenn Gott Böses in dieser Welt benutzt, um etwas Gutes zu bewirken. Aus diesem Zusammenhang stammt auch der Liedvers „Leben ohne Schatten, ist Leben ohne Sonne“ in der Überschrift, der dem Josef-Musical von Johannes Nitsch entnommen ist. Als Josefs Familie nach Ägypten gezogen und damit vor der Hungersnot gerettet ist, beruhigt er seine ängstlichen Brüdern, die schuldbewusst um Vergebung bitten:

„Ihr zwar, ihr hattet Böses gegen mich beabsichtigt; Gott aber hatte beabsichtigt, es zum Guten zu wenden…“ (1. Mose 50,20)

Dieser Zusammenhang taucht nicht nur hier sondern an verschiedenen Stellen der biblischen Geschichte auf. Am drastischsten sicher im Schicksal des Herrn Jesus, auf den die Josefgeschichte zwischen den Zeilen schon hinweist. Als die Menschheit ihr größtes Verbrechen begeht und den einzigen unschuldigen kreuzigt, den wahren Menschen, der zugleich wahrer Gott ist, da wird von Gottes Seite aus die Versöhnung mit der ganzen Welt vollzogen, weil er den Tod seines Sohnes als stellvertretendes Opfer für die Sünde und Gottlosigkeit der Menschen ansieht. Gott regiert die Welt und nicht der Teufel oder ein blindes Schicksal und er kommt am Ende auf jeden Fall an sein Ziel.

Martin Luther unterschied in diesem Zusammenhang die „eigentlichen“ von den „uneigentlichen“ Werken Gottes. Gott will eigentlich (grundsätzlich) nicht, dass ein Unschuldiger hingerichtet wird. Aber er benutzt die Hinrichtung des unschuldigen Jesus von Nazareth, um sein eigentliches Werk zu tun. Dieses Prinzip zieht sich auch weiter durch die Geschichte. Nicht immer, aber immer wieder erleben Menschen, dass leidvolle Erfahrungen schließlich auch eine gute Frucht hervor bringen können.

Dass aus Bösem mitunter etwas Gutes erwachsen kann, macht das Böse aber nicht gut und entschuldigt kein Verbrechen. Es zeigt, dass Gott größer ist und die Macht über alles hat. Er regiert die Welt und nicht der Teufel oder ein blindes Schicksal und er kommt am Ende auf jeden Fall an sein Ziel.