Die Kraft des Evangeliums 

Anfang der Neunziger Jahre des 20. Jahrhundert siedelten viele Christen aus Siebenbürgen nach Deutschland um. Das war für uns Siebenbürger-Sachsen mit …
Die Kraft des Evangeliums 

Anfang der Neunziger Jahre des 20. Jahrhundert siedelten viele Christen aus Siebenbürgen nach Deutschland um. Das war für uns Siebenbürger-Sachsen mit vielen Schwierigkeiten verbunden: Das gesellschaftliche Leben in Deutschland war uns fremd. Die Gemeindekultur unterschied sich von dem was uns vertraut war. In dieser turbulenten Zeit war das Evangelium die allein tragfähige Antwort auf Fragen, Spannungen und Konflikte, in die ich hineingeriet. 

In Deutschland zu sein, bedeutete für mich herausgerissen werden aus einer Gemeindeumgebung die für mir Heimat und Schutz war. Es bedeutete auch die Trennung von meinem väterlichen Freund Wilhelm Fritsch. Seit meiner Jugend begleitete er mich bei all meinen Fragen: Fragen theologischer Art von Allversöhnung bis Wissenschaft, Geschichte, Gemeindeleben und vor allem im persönlichen Glaubensleben. Er war die Person, die für mich über viele Jahre das Evangelium verkörperte. Schon als Teenager durfte ich an seiner Seite den griechischen Text des Neuen Testamentes studieren. Da atmete ich die Ehrfurcht vor dem Wort Gottes, die Freude am Evangelium und an seiner Wirkung auf uns sündige Menschen ein. Das Wissen um die Liebe und Heiligkeit Gottes stehen bei ihm bis heute in einer selten angetroffenen Balance. Ich bin dankbar, dass Willi versucht hat, mich ohne die „Krücke des Gesetzes und der Gesetzlichkeit“ für den Dienst in der Gemeinde zuzurüsten. Alles mutige Vordenken und Mitdenken, wenn es um Fragen der Gesellschaft, des Lebens, der Wissenschaft, der Kultur oder des Wesens Gottes ging, waren bewahrend und herausfordernd für mich. 

Rückblickend stelle ich fest, dass keine Prägung für mich so bedeutend und unerlässlich war, wie jene durch das Evangelium. Darum möchte ich hier den Versuch unternehmen einige der herausragenden Wahrheiten zu nennen, die wir im Wort vom Kreuz und der Auferstehung Jesu Christi haben. 


Das Evangelium ist die Kraft Gottes zur Errettung des Menschen aus seiner bedrohlichen Lage der Sünde und Gottesferne.

Es beantwortet die Frage: Wie kann ein Mensch, der seinem Wesen nach sündig ist, mit seinem Gott versöhnt werden?  

Durch das stellvertretende Opfer des Herrn Jesus Christus – allein durch Gnade. (Epheser 2,8-10) 

Das Evangelium ist die Kraft Gottes zur Errettung vor der Macht der Sünde. 

Das Evangelium beantwortet die Frage: wie kann ein Mensch, der mit seinem Gott versöhnt wurde, Gott ähnlicher werden? Anders ausgedrückt: wie kann er im Glauben wachsen? 

Durch die Gnade Gottes, durch das Erkennen und Ausleben des Evangeliums Jesu Christi. Keine Normen oder kein Gesetz sind in der Lage Veränderung des Herzens hervorzurufen. (Titus 2,11-13) 

Das Evangelium ist der Trost im Angesicht unserer eigenen Schwachheit. 

Es beantwortet die Frage: Wie gehen wir mit unserer eigenen Sünde und Schwachheit um?  
Wir akzeptieren diese Schwachheit – aber in Jesus Christus sind wir angenommen, geliebt und eine Neue Schöpfung. (2. Korinther 5,17).  Darin liegt die große Möglichkeit, dass das Evangelium aufgenommen und ausgelebt wird. Das Wesen unseres Herrn beinhaltet seine Liebe und Demut, seine Reinheit und Stärke. Wo Jesus unser „Alles“ Im Leben geworden ist, kommt dieses Wesen zum Ausdruck. (Philipper 3,7-11) 

Das Evangelium schenkt uns die richtige Perspektive im Angesicht von Schwachheit und Sünde, die wir bei anderen Menschen erleben. 

Es beantwortet die Frage: wie gehen wir mit Schwachheit und Sünde des anderen um?  

Wir begnadigen den anderen, da wir von unserer eigenen Sünde zutiefst überzeugt sind. Vergebung ist das große Thema der Bibel. In der ganzen Heilsgeschichte neigt Gott sich unablässig zu dem Menschen herab. Gott geht weite Wege und wir Menschen sollten das immer vor Augen haben. (1. Mose 3,9; Lukas 15,20-23) 

Das Evangelium Gottes ist in der Lage ein geistliches Klima in Familie und Gemeinde zu schaffen, das dem Wesen Gottes ähnlich ist. 

Das Evangelium beantwortet die Frage: wie können wir eine Atmosphäre der Liebe und Einheit in unseren Familien, Gemeinden, Leitungsteams und Gemeinschaften verwirklichen? 

Indem Jesus Christus der Mittelpunkt unseres Denkens ist. Das Evangelium richtet uns von uns selbst weg und auf Gott und den Nächsten aus. So betrüben unsere Gedanken, Gefühle, Worte und Handlungen Gottes Geist nicht, sondern lassen ihn wirken. (Epheser 4,25-5,1) 

Das Evangelium ist Gottes Kraft um in der Gesellschaft zu Gottes Ehre zu leben. 

Es beantwortet die Frage: wie ist das Verhältnis der Gemeinde zu der Kultur, die sie umgibt? 
Christen sind Teil der Kultur. (Johannes 17,11) Als Teil dieser Welt sind wir demütig genug um von der Kultur und den Menschen zu lernen. „Alle Wahrheit ist Gottes Wahrheit“ (J. Calvin) und diese Welt ist immer noch Gottes Welt, wenn auch unter der Knechtschaft der Sünde. (Psalm 50,12; 1. Korinther 3,22-23; Epheser 6:12)

Weil die Herrschaft des Herrn Jesus in alle Bereiche des Lebens dringen kann, haben Christen ein frohes „Ja“ zum Leben in dieser Welt.  

Christen sind Fremde in dieser Welt. (1. Petrus 1,17; 2,11-13) Obwohl diese Welt unsere Welt ist, sind wir hier niemals wirklich zu Hause. Unser Denken läuft dem Wesen dieser Welt völlig entgegen. Das akzeptieren wir.  

Wir Christen haben im Evangelium die Kraft um uns auf die Kultur einzulassen. Das Evangelium bewahrt uns vor der Flucht aus der Welt. Wo immer wir sind, dürfen wir das Wesen des Evangeliums leben. Dieses Evangelium schafft, wenn zunächst auch nur im Mikrokosmos, ein Klima des Reiches Gottes. Auf diese Weise breitet sich Gottes Herrschaft aus. Rückzug in ein christliches Ghetto ist für das Evangelium keine Option. „Denn so sehr hat Gott diese Welt geliebt“ – die Welt, die sich von Gott losgesagt hat. Aktive Liebe ist unsere Möglichkeit; die Möglichkeit gegenüber den Menschen, die sich mit einer Kultur identifizieren, die weit weg von Gottes Normen lebt. (Matthäus 5,13) 
Das Evangelium ist eine Kraft zur Errettung unserer Mitmenschen; darum müssen wir es mit Tat und Wort ausstrahlen. Das Evangelium spricht aber auch von der Ehrfurcht vor der Persönlichkeit des Andersdenkenden. So hilft es uns die Spannung durchzuhalten, uns geduldig in Menschen zu investieren und uns gleichzeitig der Dringlichkeit des Auftrags bewusst zu sein. Mit dem Evangelium dürfen wir weder Druck ausüben noch manipulieren. Es gibt uns die innere Stärke, die Not auszuhalten, wenn andere Menschsein unsere Botschaft ablehnen. (1. Petrus 3,15; Lukas 6,28) 

 

Das Evangelium hilft uns die gesunde Spannung zwischen dem „schon jetzt“ und „noch nicht“ auszuhalten. 

Das Evangelium antwortet auf die Frage: Warum ist Gottes Reich nicht triumphal sichtbar in dieser Welt? 

Das Reich Gottes ist mitten unter uns. (Lukas 17,21) Aber gerade das Wort vom Kreuz macht deutlich, dass die Schwachheit der Gemeinde Jesu und das Leid der Christen in dieser Welt noch immer Realität sind. Gleichzeitig halten wir daran fest, dass der sichtbare Triumph des Kreuzes noch aussteht. (1. Korinther 15,54; 1. Johannes 3,2) Wir leben in einer Zwischenzeit. Darin müssen wir sowohl mit der Macht des Evangeliums, als auch mit der Macht eines widergöttlichen Systems und der Bosheit der Menschen rechnen. Beides zwingt uns zu einer Abhängigkeit von unserem Herrn, seinem Wort und seinem Geist. (1. Petrus 5,8) Aber gerade das Wort vom Sterben und der Auferstehung des Sohnes Gottes ist das Fundament für einen „Neuen Himmel und eine neue Erde in denen Gerechtigkeit wohnt“. (2. Timotheus 1,10; Offenbarung 21)      

Mein Gebet ist, dass diese Kraft Gottes in den kommenden Jahrzehnten die Gemeindelandschaft in Europa verändert. Nur das Evangelium von Jesus Christus kann einen dauerhaften Prozess der Erneuerung im Leben eines Christen und in einem Gemeindeleben anstoßen. Die Folge werden Menschen und Gemeinden sein, die das Leben Jesu auf dieser Welt wiederspiegeln. 

"Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht, ist es doch Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen. Denn Gottes Gerechtigkeit wird darin offenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: "Der Gerechte aber wird aus Glauben leben." Römer 1,16-17