Warum “reicht” mein Glaube nicht?

Christ und psychisch krank – eine Einordnung
Warum “reicht” mein Glaube nicht?

„Ich wünschte, ich hätte Krebs!“ verzweifelt schlug Lisa (Name geändert) die Hände vor das Gesicht. Wie kommt es, dass eine hübsche junge Frau diesen Wunsch - äußert? Lisa hatte Krebs, einen ganz anderen Krebs als einen Magentumor oder Lebermetastasen. Er konnte nicht operiert, mit Chemo- oder Strahlentherapie behandelt werden. Sie hatte den „Krebs der Seele“, der sie in eine so tiefe Verzweiflung und Dunkelheit gestürzt hatte, dass sie nicht mehr leben wollte.

Zu dieser tiefen Not gesellte sich die Angst vor Mitchristen, die psychische Erkrankungen ablehnten oder bestenfalls tabuisierten. Wenn sie „normalen“ Krebs gehabt hätte, so Lisas Überzeugung, dann würde sie besucht werden. Sie bekäme Karten oder Blumen. Die anderen würden für sie kochen und für sie beten. Aber so musste sie ihre Not verstecken, alleine mit ihren Problemen und Zweifeln zurechtkommen.

Wie kommt es, dass Christen Probleme haben mit Menschen, die psychische Erkrankungen haben? Warum dürfen Christen nicht seelisch krank sein? Wir machen Gebetsnächte und Gebetsaufrufe für Tumorkranke, Verunglückte und sonstige körperliche Erkrankungen. Aber wann haben wir als Gemeinde auf den Knien gelegen für Magersüchtige, Depressive, Schizophrene, Drogenabhängige und Menschen mit Angststörungen?

Warum denken wir, dass körperlich Kranke zum Arzt müssen und psychisch Kranke es irgendwie alleine mit Gott schaffen müssen?


Warum werden Christen psychisch krank?

Eigentlich müsste die Frage eher lauten: „Gibt es einen Grund, warum Christen nicht psychisch krank werden sollten?“

Wir leben in einer Welt, in der nichts mehr heil ist. Der Körper nicht, unsere Gedanken nicht, unsere Gefühle nicht, unsere Umwelt nicht. Und selbst wenn wir zu Jesus gehören, leben wir immer noch in dieser Welt. Christen erkranken genauso wie Menschen ohne Glauben an Depressionen, Angststörungen oder Psychosen. Psychische Erkrankungen sind nicht nur die Folge eines falschen Denkens, von Schuld oder unbereinigter Vergangenheit. Damit ein Mensch psychisch erkrankt, kommen viele unterschiedliche Faktoren zusammen: die Erbanlagen und der Hirnstoffwechsel spielen eine Rolle, der Charakter, die Kindheitserfahrungen, die ein Mensch gemacht hat, die Bindungserfahrung, Lebensschicksale und die eigene Reaktion auf all diese Erfahrungen.


Macht der Glaube krank?

Welche Rolle spielt nun der Glaube bei psychischen Erkrankungen? Macht er krank, wie einige behaupten oder ist er ein Faktor, der psychische Erkrankungen verhindern oder lindern kann?

Ein gesetzlicher Glaube, ein falsches Gottesbild und die einseitige Betonung bestimmter Bibelstellen können zur Zunahme von Ängsten und Zwängen führen und depressive Symptome verstärken. Wenn in manchen Gemeinden sogenannte „Befreiungsdienste“ an psychisch Kranken durchgeführt werden, die nicht den gewünschten Erfolg bringen, dann kann das tiefe Zweifel im Glaubensleben von sensiblen Menschen bewirken.


Kann der Glaube helfen?

Das feste Vertrauen in Gott und ein gesunder Glaube lassen die körperlichen und seelischen Probleme nicht verschwinden. Aber der Glaube kann in schwierigen Stunden Sicherheit geben, Halt, Geborgenheit und einen tiefen Frieden. Auch wenn wir die Welt und uns nicht mehr verstehen, wissen wir, dass es einen gibt, der den Überblick hat und die Kontrolle behält. Wir sind immer mit ewiger Liebe geliebt. Wir dürfen Trost und Vergebung bei Gott suchen. Und wenn wir daran zweifeln, dürfen wir selbst mit unseren Zweifeln und Klagen vor Gott kommen. Er hört unsere Klage genauso wie Jeremias und die Schreie der Psalmisten.


Warum tun wir uns mit psychisch Kranken so schwer?

Jesus hat Mitleid mit unseren Schwachheiten und Problemen. Aber für uns ist das Leben und der Umgang mit psychisch Kranken mühsam und herausfordernd. Oft ist das Denken verändert, der Glaube wird in Frage gestellt, tröstende Worte helfen wenig, Beziehungen sind schwierig. Unsere gut gemeinten Ratschläge scheinen auf taube Ohren zu stoßen. Und selbst durch unsere Gebete ändert sich oft erst einmal nicht viel im Leben der Betroffenen. Da scheint es nachvollziehbar, dass wir wie die Freunde Hiobs nach Erklärungen suchen: vielleicht ist Sünde die Ursache für die Probleme, Ungehorsam oder okkulte Belastung. Oder der Kranke ist störrisch und uneinsichtig.

Was hilft?

Da wir uns meist überfordert fühlen mit psychisch Kranken, neigen wir dazu, uns zurückzuziehen und zu warten, bis sich die Lage verbessert. Das kann Monate dauern und eine sehr einsame Zeit für die Betroffenen werden.

Hilfreich wäre gute Aufklärungsarbeit, auch in der Gemeinde. Wir wissen viel über Schlaganfälle und Diabetes, aber immer noch sehr wenig über Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen und Psychosen. Barmherzigkeit, Gebet und langer Atem können den Leidenden Geborgenheit und Trost geben und helfen, die schwere Last zu tragen.

Lisa hätte es geholfen, wenn man ihre Not als Krankheit verstanden und akzeptiert hätte; wenn man für sie und ihre Familie gekocht hätte, wenn man ihr Milch und nicht Schwarzbrot in dieser Situation angeboten hätte: Verse, die sie verdauen kann, an die sie sich in dunklen Stunden klammern kann, wenn nichts mehr trägt. Und wenn sie echte Freunde gehabt hätte, die sie zu Jesus tragen, wenn sie selber dazu nicht mehr in der Lage ist.

Die Bibel kennt körperliches und seelisches Leiden. Aber der Leidende muss nicht ungetröstet bleiben. In allem Zweifel gibt es immer einen, der treu bleibt und nicht von unserer Seite weicht. „Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“ Psalm 73,26.



Adressen, bei denen du Hilfe bekommst, findest du hier:

https://www.steps-leaders.de/beitrag/wo-bekomme-ich-unterstuetzung