Warum empfinden wir Schönheit?
Was ist Schönheit und warum empfinden wir sie? Anhand von drei Beispielen versucht dir dieser Artikel eine Antwort zu geben.
Warum empfinden wir Schönheit?
Schönheit ist gar nicht so leicht zu beschreiben oder zu definieren. Dabei weiß eigentlich jeder intuitiv, was sie ist. Wir alle haben sie schon empfunden und wahrgenommen. Ich habe aus Neugier mal eine KI gefragt, was Schönheit ist. Das war ihre Antwort:
“Schönheit ist die Schnittmenge aus Wahrnehmung, Emotion und Bedeutung — etwas, das uns innehalten lässt und uns ein Gefühl von Stimmigkeit, Freude oder Erhabenheit gibt.”
Kannst du mit dieser Definition genauso wenig anfangen wie ich? Ich glaube nicht, dass es an der KI liegt: Wie soll etwas, das uns in unserem innersten Inneren berührt und anzieht und manchmal fast in Trance versetzt, mit nüchternen, sachlichen Worten beschrieben werden?
Genauso wenig, wie wir wie Schönheit wissenschaftlich definieren können, lässt sich ihre Existenz rein wissenschaftlich begründen. Sie macht naturalistisch gesehen nämlich nur bedingt Sinn, da sie augenscheinlich keinen großen Nutzen hat. Nach naturalistischer Weltanschauung wäre es logischer, wenn es so etwas wie Schönheit gar nicht oder in wesentlich geringerem Maße gäbe.
Und dennoch gibt es sie, und wir alle empfinden sie. Warum? Diese Frage will ich in diesem Artikel beantworten – anhand von drei Beispielen: der Natur, der Musik und der Mathematik.
Schöne Natur
Wenn wir an schöne Dinge in dieser Welt denken, gehen unsere Gedanken vermutlich zuerst in die Natur: Berge, Flüsse, Sterne, Wälder, Farben, Lichter … die Liste ist lang. Wir sind eigentlich ständig davon umgeben; Schönheit drängt sich uns an jeder Ecke auf — so sehr, dass wir fast blind für sie werden. Selbst der einfachste Löwenzahn ist bei genauerem Hinsehen ein zutiefst anmutiges Meisterwerk, und doch nehmen wir ihn kaum wahr, so opulent präsentiert sich uns die Schönheit der restlichen Welt. G. K. Chesterton (1874-1936), ein christlicher Schriftsteller und Denker, hat diesen “Overload” an Schönem einmal so in Worte gefasst:
Die Natur ist extravagant. Sie ist nicht sparsam. Sie ist nicht bedächtig. Sie ist virtuos verschwenderisch. Sie ist der Überfluss des Künstlers, nicht die Berechnung des Ökonomen.
Für Chesterton war klar: Die verschwenderische Schönheit in der Natur zeugt von der verschwenderischen Großzügigkeit des Schöpfers: Statt nur eine Farbe, eine Pflanze, ein Tier zu erschaffen, hat Gott seinen Überfluss an Schönheit und Kreativität in die geschaffene Welt hineingelegt. So argumentierte auch der große amerikanische Erweckungsprediger Jonathan Edwards (1703-1758):
Alle Schönheit, welche sich in der Gesamtheit der Schöpfung finden lässt, ist lediglich ein diffuser Abglanz des Spiegelbildes jenes Wesens, dem eine unendliche Fülle von Licht und Herrlichkeit innewohnt.
Das Argument ist also recht simpel: Diese Welt ist schön, weil Gott schön ist und seine Schönheit in diese Welt hineingelegt hat. Nichts Anderes sagt die Bibel selbst:
Die „Herrlichkeit Gottes“ ist, wenn man so will, die Steigerungsform von Schönheit, wie wir sie kennen; sie ist die Gesamtheit aller Schönheit und Reinheit. Und der Himmel, so der Psalmist, hält uns jeden Tag eine Predigt über diese potenzierte Schönheit des Schöpfers. Daher schreibt auch der Apostel Paulus, dass man eben jenes „unsichtbare Wesen“ Gottes in der Schöpfung wahrnehmen kann (Röm 1,20). Die Natur verrät uns also etwas über Gottes Wesen – sie zeigt uns nicht nur, dass Gott ist, sondern auch, wie er ist. Sie trägt seine Handschrift, die Handschrift eines großzügigen, extravaganten, überschwänglichen, verschwenderischen Künstlers, der Schönheit in Vollkommenheit verkörpert.
Schöne Musik
Die Musik von Johann Sebastian Bach ist nicht jedermanns Sache, aber es ist unumstritten, dass er einer der genialsten Musiker und Komponisten aller Zeiten war. Seine Musik rührt noch heute viele Menschen zu Tränen, weil sie so von ihrer Schönheit zutiefst berührt werden. Wenn man einen dieser Menschen in einem solchen aufwühlenden Moment fragen würde, was er daran so schön findet, würde er vermutlich keine Worte finden. Auch Bach selbst konnte es nicht so recht erklären. Er hat einmal gesagt:
“Ich spiele die Noten, wie sie geschrieben sind, aber es ist Gott, der die Musik macht.”
Auch hier wird also klar: Schöne Musik lässt sich rein wissenschaftlich nicht so ohne Weiteres analysieren und beschreiben. Schöne Musik ist eben mehr als Noten. Und dennoch ist sie real. So real wie die Tränen, die bei manchen Bach-Liebhabern fließen. So real wie die Verzückung, die wir alle schon empfunden haben, als wir Musik gehört haben, die unserem Geschmack entsprochen hat. Für den Philosophen Peter Kreeft ist das ein klarer Gottesbeweis, wenngleich er ihn etwas spitzbübisch argumentiert:
Es gibt die Musik von Johann Sebastian Bach. Deshalb muss es einen Gott geben. Entweder erkennen Sie dies oder nicht.
Für einen Christen ist dieses Argument intuitiv schlüssig. Wenn es den Gott der Bibel nicht gäbe, gäbe es auch so etwas wie musikalische Schönheit nicht. Weil es sie aber gibt, muss es auch Gott geben, der seine Schönheit eben nicht nur in der Natur, sondern auch in der Musik präsentiert. Der Theologe Gavin Ortlund schreibt dazu:
Für den christlichen Theisten ist die Musik (genau wie jede andere Form von Schönheit) eine Folge der Liebe und Freude, die immerwährend zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist pulsieren.
Die einzige Erklärung, die dem Naturalisten bleibt, ist die, dass Musik ein Zufallsprodukt der Natur und ihrer Prozesse ist und dass sie auf den Menschen halt wie ein Opiat wirkt. Sie ist demnach „angenehm, weil sie uns von der Realität ablenkt“, so Ortlund weiter. Für den Christen sei sie dahingegen wie ein Fenster für einen eingesperrten Menschen – sei ein Weg, auf dem sich uns „Transzendenz und das Absolute offenbaren.“ Oder, um es mit biblischem Vokabular auszudrücken: Musik zeigt uns, dass der Prediger recht hat, wenn er sagt, Gott „hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch die Ewigkeit hat er ihnen ins Herz gelegt“ (Prediger 3,11).
Schöne Mathematik
Ich muss zugeben, dass ich überrascht war, als ich das erste Mal von Schönheit im Bereich der Mathematik gehört habe, schließlich habe ich mich seit meinem Schulabschluss nicht mehr wirklich mit Mathe beschäftigt – was wiederum daran liegt, dass „schön“ nicht gerade das erste Wort war, das mir in der Schule beim Gedanken an Mathe gekommen wäre. Daher hat mich auch der Film A Beautiful Mind nie so wirklich berührt, und daher habe ich auch nie so ganz verstanden, dass die Ideen des Hauptcharakters und Mathegenies John Nash als „wunderschön“ empfunden wurden.
Doch nur weil ich „diese Sprache nicht spreche“, muss man nicht daraus schließen, dass es sie nicht gibt. Die Sache ist nur: Auch hier tut man sich mit einer Definition von Schönheit schwer. Der Nobelpreisträger und Astrophysiker Subrahmanyan Chandrasekhar führt aber zwei Kriterien für mathematische Schönheit an:
- der richtige Grad an Fremdartigkeit und
- die Konformität der jeweiligen Komponenten sowohl untereinander als auch mit dem Ganzen. Andere argumentieren von der Intuition her. So zum Beispiel Paul Erdős, ungarischer Mathematiker:
Warum sind Zahlen so schön? Das ist, als würde man fragen, warum Beethovens Neunte Sinfonie schön ist. Wenn man das nicht erkennt, dann kann es einem keiner klären. Ich weiß, dass Zahlen schön sind. Sind sie es nicht, dann ist auch nichts Anderes schön.
Der britische Mathematiker George Watson aus dem 20. Jahrhundert schreibt von einer mystischen Schönheit:
Warum ist die Mathematik so aufregend? Vielleicht ist die Mathematik (…) ein tatsächlicher Berührungspunkt mit etwas Übernatürlichem. Vielleicht spiegelt ihre Schönheit und Komplexität die Schönheit wider, durch welche die Welt gemacht wurde. So mystisch dies auch klingen mag, es ist doch schwer, eine alternative Erklärung zu finden, die weniger mystisch ist.
Für Ortlund ist die Schönheit der Mathematik daher ein starkes Indiz für die Existenz Gottes. Der christliche Theismus biete folglich „einen starken Erklärungsrahmen für das Wesen der Mathematik, wie wir sie erleben.” Ich bin mir sicher, dass das für die Mathematiker unter uns ein starkes Argument für Gottes Existenz ist ;-)
Warum empfinden wir Schönheit?
Die Schönheit dieser Welt steht uns jeden Tag vor Augen; sie glitzert in der Natur, singt in der Musik und arbeitet in der Mathematik. Jeder von uns empfängt mindestens einen dieser Kanäle. Jeder von uns kann also eigentlich wissen: Gott existiert tatsächlich. Warum empfinden wir Schönheit? Weil Gott schön ist und sich selbst in Schönheit offenbart. Und weil er uns so geschaffen hat, dass wir das wahrnehmen können, „damit sie den Herrn suchen sollten, ob sie ihn wohl umhertastend wahrnehmen und finden möchten; und doch ist er ja jedem Einzelnen von uns nicht ferne” (Apg 17,27).