Visionsentwicklung in der Jugendarbeit - Ein Praxisbericht 

Brauchen wir Visionen für Jugendliche- und Gemeindearbeit? Welche Stärken und Schwächen haben diese?
Visionsentwicklung in der Jugendarbeit - Ein Praxisbericht 

In 16 Jahren lokaler und 15 Jahren regionaler Jugendarbeit habe ich Zeiten erlebt, in denen alle motiviert und fokussiert sind. Dann nehmen für eine kurze Zeit eine starke Gemeinschaft, ein beeindruckender Leiter oder Wachstum den Platz einer klaren Vision ein. 

Das ist schön. Aber kurzfristig. 

Denn ich erinnere mich auch an Meetings, wo nichts vorwärts ging. Wir waren müde, ratlos und ohne Fokus und füllten einfach nur unsere Programmlisten und verteilten To-Dos. 

Ich habe in den letzten Jahren festgestellt, wie hilfreich eine biblisch fundierte Vision für jede Gruppe innerhalb einer Gemeinde oder christlichen Organisation sein kann.  

Das will ich dir am Beispiel unserer lokalen Gemeindejugendarbeit in der CV Manderbach zeigen. 

Wie kamen wir zur Vision? 

Unser Vision-Kickofftreffen war Ende Juni 2018. Ein Mitarbeiter hatte sich bereits mit Visionsfindung beschäftigt und schon Erfahrung mit bestimmten Prinzipien, wie man in Gruppen Ziele finden kann.  

Wir starteten mit folgenden Fragen: 

  • Warum tun wir, was wir tun? Was ist der Sinn und Zweck? 

  • Wer sind wir? 

  • Wozu möchte Gott uns gebrauchen? 

  • Wie soll unsere Gruppe in 1/5/10 Jahren aussehen? 

Für uns war es hilfreich, hier unter Gebet  “laut zu träumen” und zunächst einmal Antworten auf die Fragen zu sammeln und erst dann einen Entwurf zu erstellen. Wichtig ist, dass nicht jeder an der genauen Ausarbeitung und Formulierung beteiligt ist, sondern einige wenige Leute etwas vorbereiten, was dann im Team später abgesegnet bzw. kritisiert werden kann. Generell haben wir zu dieser Zeit auch unsere gesamten Unterlagen auf digital umgestellt und mit synchronisierten Dateien gearbeitet. So konnte jeder Mitarbeiter immer auf die aktuellste Version zugreifen. 

Anfang September 2018 hatten wir dann den ersten Entwurf vorliegen. Nach etwas “Ruhe” verfeinerten wir die Vision immer mehr. Es war kein Problem, dass dieser Prozess einige Schleifen enthielt. 

Beispielfragen, die wir uns beim Verfeinern stellten: 

  • Ist die Vision biblisch fundiert? 

  • Ist sie klar? 

  • Ist sie verständlich? 

  • Ist sie leicht merkbar? Ist sie trotzdem konkret? 

  • Ist sie langfristig, aber nicht völlig unerreichbar? 

  • Was müssten wir ändern, damit wir alle diese Fragen noch klarer mit “Ja” beantworten können? 

Zwei Monate später, und ca. vier Monate nach unserem Kickoff, stellten wir unserer Jugend dann die Vision vor. Wir nahmen uns dann für die folgenden Wochen und Monate vor, jeden Teil des Programms an unserer Vision zu orientieren. So konnten die Jugendlichen sehen, wie unsere Themen mit der Vision verbunden sind. 

Nachdem unsere Vision ausgearbeitet war fielen mir folgende Stärken und Schwächen diesbzgl. auf. Manche sind auch nur potenziell, die ich für mich im Hinterkopf behalten möchte. 

Stärken 

  • Das “Warum” hinter deiner Arbeit ist dir durch eine Vision in einem Satz oder ganz wenigen Sätzen bewusst.  

  • Klare Ausrichtung: Allen ist klar, was das Ziel der lokalen Jugendarbeit ist. Bei Programmbesprechungen gibt es Klarheit. Sogar bei den Inhalten der einzelnen Andachten kann es helfen, sich die Vision bewusst zu machen. Die Vision dient als strategisches Werkzeug in schweren Zeiten im Mitarbeiterteam oder um bei chaotischen Teammeetings den Fokus zu behalten. 

  • Dadurch gibt es auch weniger Frustration: Die Mitarbeiter wissen, worauf sie sich eingelassen haben. 

  • Back to the Roots: Eine Vision hilft, auf das Wesentliche zurückzukommen. Unsere Jugendvision leitet sich bspw. von den Kernthemen der Bibel ab: Lieben (Menschen lieben und ermutigen – Hebräer 10,24-25), Loben (Gott lieben und sich an ihm erfreuen – Psalm 16,11), Leben in Fülle – Johannes 10,10. Das haben wir im Mitarbeiterteam als echt hilfreich empfunden. 

  • Durch eine einfache Vision kann irgendwann jeder Jugendgruppenbesucher, der regelmäßig da war, die Vision benennen und anderen weitergeben. 

Schwächen 

  • Vision “aus dem Elfenbeinturm”: Wir hatten den Eindruck, dass wir als Leitertypen, die solche Prozesse mögen, Jugendliche damit ab und zu etwas überfordern, bzw. zu viel darüber reden. 

  • nicht jedes Themengebiet lässt sich in der Vision unterbringen. Das ist aber auch okay. 

Potenzielle Schwächen 

  • Eine Vision – nur um der Vision willen – die nicht gelebt wird, hilft nicht sehr viel und kann unter Umständen zu Unzufriedenheit führen. 

  • Eine Vision zu haben ist eine strategische Entscheidung des Teams. Diese Strategie wird durch herausfordernde Umstände sehr stark angegriffen. So konnten wir während der Coronazeit alle drei Teilbereiche unserer Vision nur sehr eingeschränkt leben. 

  • Wenn wir nicht darauf achten, dass wir unsere Gemeindejugendkultur konstant nach der Vision ausrichten, wird die Vision von der bestehenden Kultur geschluckt. Haben wir auch sehr stark durch Corona gemerkt. 

  • Mehr Strategie als Gebet: Wir verlassen uns auf die nicen Sätze und Ausarbeitungen und bekommen manchmal gar nicht mehr mit, dass wir schon länger nicht mehr in der Spur sind. 

  • Visionsprozess geht oft mit “Bigger, better, stronger” einher. Kann den Machthunger in uns extrem triggern. 

Warum wir Vision weitergeben müssen 

Aktuell sind wir wieder in einer Umbruchsituation in unserer lokalen Jugendarbeit. Die Leiter, die den letzten Visionsprozess begleitet haben, sind fast alle weg. Deswegen ist es jetzt wieder enorm wichtig, die Vision gut zu kommunizieren und der nächsten Leitergeneration die Möglichkeit zu geben, diese zu übernehmen oder auch weiterzuentwickeln. So halten wir unsere Ausrichtung oder verbessern die Vision für kommende Leiter und geben den Jugendlichen, die schon länger dabei sind, eine konsistente Gruppenerfahrung. 

Wenn du wissen willst, wie unsere Folgeleiter es angepackt hat, schreib mir bitte nochmal. Es wird vielleicht in 1-2 Jahren einen Folgeartikel dazu geben. 

Siggi Krauss