Mental Health: Was ist das?

Was ist psychische Gesundheit? Was beeinträchtigt sie? Und wie stehen wir eigentlich als Christen dazu?
Mental Health: Was ist das?


Wann sind wir eigentlich (psychisch) gesund?

Sind wir gesund, wenn wir uns so fühlen? Wenn nichts weh tut und der Arzt bescheinigt, dass alles in Ordnung ist? Gesundheit und Krankheit ist kein Entweder-Oder. Kein Schwarz und Weiß. Die Grenzen sind fließend. Wir sind zwischen „ganz krank“ und „ganz gesund“ immer mehr oder weniger gesund. Gesundsein ist mehr als: Nicht krank sein, mehr als die bloße Abwesenheit von Schmerz. Gesundsein bedeutet auch, sich wohlzufühlen und Lebensfreude zu haben.

Wann es uns so geht, ist individuell: Jeder von uns empfindet Belastungen unterschiedlich und geht mit Herausforderungen anders um. Unsere Gesundheit hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab:

1. Risikofaktoren = Von dem, was psychische Gesundheit potenziell beeinträchtigen kann.

2. Schutzfaktoren = Von dem, was psychische Gesundheit fördert und stabilisiert.


Dabei können wir die psychische Dimension des Menschen nicht losgelöst betrachten. Der Mensch ist als ‚lebendiges Wesen’ (1. Mose 2,7) eine untrennbare Einheit des inneren und äußeren Menschen. Vor allem in unserer westlichen Welt mit ihrer spezialisierten Medizin wurden diese Zusammenhänge zeitweise vernachlässigt. In letzter Zeit werden sie erfreulicherweise wieder neu entdeckt. Alles wirkt mit allem zusammen!

Bei Mental Health geht es also um den ganzen Menschen:

• Die psychische Dimension umfasst unser Denken, Fühlen und Wollen.

• Die körperliche Dimension beschreibt unseren Organismus, die biologischen Rahmenbedingungen (Genetik, Immunsystem etc.) und die körperliche Verfassung.

• Die geistliche Dimension spricht von unserem Glauben, der Gottesbeziehung, Spiritualität, Sinn und Hoffnung.

• Die soziale Dimension beachtet uns Menschen als Beziehungswesen, die Gemeinschaft brauchen.

Diese Dimensionen sind alle miteinander verbunden. Wer beispielsweise Kopfschmerzen hat, kann schlechte Laune bekommen und den eigenen Antrieb verlieren. Bei chronischen Beschwerden können sich darüber hinaus Glaubenszweifel entwickeln. Der einsame Mensch mag sich auch von Gott verlassen fühlen und im Laufe der Zeit depressive Symptome entwickeln. Oder denken wir an König David, der unter seiner verheimlichten Schuld derart litt, dass er sich körperlich erschöpft und ausgetrocknet fühlte. Er klagte und fühlte sich elend (Psalm 32,3). Wichtig ist auch: Wer Leiden vorschnell geistlich deutet, kann anderen Unrecht tun und ihr Leiden vergrößern.

Was sind psychische Erkrankungen?

Eine psychische Erkrankung tritt ein, wenn die Schutzfaktoren eines Menschen nicht mehr ausreichen. Sie können dann die Risikofaktoren nicht mehr ausgleichen. Der Optimismus hält dauerhafter Entmutigung nicht mehr Stand, das Selbstbewusstsein wird durch Mobbing geschwächt, eine im Streit zerbrochene Beziehung hinterlässt Frust und enttäuschtes Vertrauen.

Medizinisch gesehen ist ein Mensch psychisch erkrankt, wenn eine „Störung mit Krankheitswert“ vorliegt. Diese Definition zeigt, dass nicht jede „Störung“ des Lebens krank macht. Bei der Diagnose einer psychischen Erkrankung geht es vor allem darum, wie schlecht es einer Person geht und wie gut sie im Alltag zurechtkommt. Nach den gängigen Diagnoserichtlinien (ICD-10 und DSM-5) sind Menschen psychisch erkrankt, die im Denken, Fühlen, Wollen und/oder Tun in einer Weise beeinträchtigt sind, dass sie spürbar darunter leiden und in ihrer Lebensgestaltung deutlich eingeschränkt sind. Die Grenzen sind dabei fließend: Auch der chronisch Kranke hat ein gewisses Maß an Gesundheit in sich und „gesund ist, wer nicht ausreichend untersucht wurde“, wie es der Psychiater und Theologe Manfred Lütz mal pointiert ausgedrückt hat.

Wann ist unsere psychische Gesundheit gefährdet?

Zu den Risikofaktoren gehören alle Einflüsse und Anforderungen, denen ein Mensch psychisch ausgesetzt ist, z.B. körperliche Erkrankungen und Verletzungen, eine schwierige Arbeitssituation, die angespannte familiäre Lage, Streit im Freundeskreis, finanzielle Engpässe oder chronische Schulden...

Aus den Belastungen, denen ein Mensch ausgesetzt ist, folgen die Beanspruchungen. Hier geht es um die Auswirkungen: Wozu führen die Belastungen? Was machen sie mit mir? Fühle ich mich überfordert, hilflos, unsicher, erschöpft etc.?

Aus Forschungen und persönlichen Erfahrungen wissen wir, dass Belastungen nicht grundsätzlich negativ sind. Im Gegenteil: Wenn es gut läuft, wachsen wir sogar an Herausforderungen. Motivation, Zufriedenheit, Leistungsfähigkeit, Fortschritt und Heiligung können gesunde Folgen von Belastungen sein. Das ist wie beim Sport: Auch die Muskeln wachsen nur, wenn sie belastet und trainiert werden.

Unsere psychische Gesundheit ist da gefährdet, wo die Belastungen unsere Ressourcen überschreiten. Dann machen sich Unzufriedenheit, Ärger, Stress, übermäßiges Sorgen, Verspannungen oder Schlafprobleme bemerkbar. Lebensfreude und Wohlbefinden können verloren gehen und psychische Erkrankungen entstehen.

Ressourcen sind unsere Schutzfaktoren, all das, was wir Belastungen entgegensetzen können. Es sind die Kräfte und Strategien, die uns helfen, Anforderungen zu bewältigen und Belastungen zu überwinden oder auszuhalten. Wo ausreichend Ressourcen vorhanden sind, können Krisen zu Chancen werden. Wo sie fehlen, können Krisen zu Katastrophen werden. Das Gute ist: Wir können unsere Ressourcen fördern und trainieren. Das hilft, Herausforderungen zu überwinden und ihnen vorzubeugen.

Was fördert, schützt und erhält psychische Gesundheit?

Wenn wir uns den ganzen Menschen anschauen, ergeben sich viele Ansatzpunkte, wie wir in unsere psychische Gesundheit investieren können:

• körperlich: Bewegung, Ernährung, Regeneration, Medizin…

• psychisch: Heilsame Gedanken, Gefühle ausdrücken und steuern, Willenskraft und Motivation stärken, auf Gutes fokussieren, Entspannung, Dankbarkeit…

• geistlich: Glaube, Vertrauen, Beichte und Vergebung, Hoffnung, Zuversicht, Gebet, Klage, Fürbitte, Anbetung…

• sozial: Familie, Freundschaften, soziale Unterstützung, Vorbilder…

Diese Dinge können an die jeweilige Lebenssituation angepasst werden: Wo zeigen sich bei mir Belastungen? Welche Ressourcen stehen mir zur Verfügung? Wie kann ich meine Schutzfaktoren gezielt stärken? Stell dir zum Beispiel vor: Ein schwieriger Arbeitskollege stellt eine echte Herausforderung für dich dar. Eine Ressource, in der du in der Zeit zurückgreifen kannst, ist dein Freundeskreis. Mit ihnen besprichst du die Situation, sie geben dir Halt und ermutigen dich.

Jetzt könnte man auf die Idee kommen, dass der Mensch nur genügend Ressourcen aufbauen muss, um allem gewachsen zu sein. Das stimmt so nicht. Wir können viel tun, was unserer psychischen Gesundheit dient, doch auch das hat Grenzen. Wir haben nicht alles im Griff und bleiben als Menschen verletzlich.

Macht unser Glaube einen Unterschied?

Als Christen haben wir noch eine andere Perspektive auf das Thema. Gott schuf uns Menschen als ermächtigte und bedürftige Wesen. Wir sind in seinem Bild geschaffen und sollen und dürfen unser Leben gestalten. Aber schon auf den ersten Seiten der Bibel sehen wir, dass das gar nicht so einfach ist. Wir leben mit und leiden an den Folgen unserer Gottlosigkeit. Disteln und Dornen, Schweiß und Tränen gehören zu unserem Leben und belasten uns.

Gott sei Dank bleiben wir nicht uns selbst überlassen. In Jesus kam Gott zu uns, um die größte Bedrohung des Menschen zu überwinden. Er kam, „damit wir Leben haben und es in Fülle haben“ (Johannes 10,10). Das ist kein plumpes, materielles, körperliches oder psychisches Wohlstandsevangelium. „In der Welt habt ihr Angst“, sagt Jesus. Doch bleibt er dabei nicht stehen, sondern ergänzt „und seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Johannes 16,33). Der christliche Glaube ist mehr als eine psychologische Ressource, mehr als Glaube an eine höhere Macht, die einem etwas Sicherheit verspricht. “Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele? (Markus 8,36)?

Wohlbefinden im christlichen Sinne geht über ein angenehmes, schmerzfreies Leben hinaus – das bezeugen Christen durch alle Zeiten hindurch. „It is well with my soul“ dichtete Horatio Spafford nach unfassbaren Schicksalsschlägen. Der christliche Glaube ist kein Schönwetterglaube. Er kann sich der Wirklichkeit mit allem Schönen und Schweren stellen. Er glaubt daran, dass in und trotz allem Gott die Herzen und Gedanken bewahren kann und dass es einen Frieden gibt, der den Verstand übersteigt (Philipper 4,7).

Unser Glaube ist auch kein Glaube, der einfach alles aushält. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute“ schreibt Paulus angesichts belastender Umstände (Römer 12,21). Es ist kein Zeichen von Gottvertrauen, wenn wir die Möglichkeiten ignorieren, die wir haben. Wir sollen tun, was wir tun können und Gott überlassen, was nur er tun kann.

Gott richtete Rhythmen ein: Arbeit und Ruhe, Tag und Nacht, Aktivität und Schlaf. Das zeigt uns, dass wir im Wechsel von Anspannung und Entspannung leben. Wer das langfristig übergeht, riskiert seine (mentale) Gesundheit.

Und schließlich gibt uns der christliche Glaube einen weiten Horizont: dieses Leben ist nicht alles. Eines Tages wird Gott Erlösung schaffen (Offenbarung 21,4). Das Schönste kommt noch. Das ist echter, tiefer Trost, wo es sich Hier und Jetzt noch nicht zum Guten wendet.

Kurz und bündig

Zu Mental Health gehört last, but not least, ein Leben mit und für andere. Wir Menschen brauchen einander. Wir sind uns zur gegenseitigen Unterstützung gegeben. So können wir über uns hinauswachsen und für andere da sein.


Sich mit Mental Health auseinanderzusetzen bedeutet:

• Belastungen identifizieren: Welchen Belastungen bin ich ausgesetzt?

• Beanspruchungen erkennen: Woran wachse ich? Was schwächt mich?

• Belastungen dosieren: Was und wieviel kann ich mir zumuten?

• Ressourcen erkennen und ausbauen: Aus welchen Quellen lebe ich? Welche Stärken habe ich? Wie kann ich sie gezielt fördern?

• Grenzen erkennen: Wo spüre ich meine Grenzen? Soll ich sie überwinden oder Frieden mit ihnen schließen?

• Über sich hinauswachsen: Wem oder was kann ich dienen? Wie kann ich Gott und Menschen meine Liebe zeigen?


Kurz und bündig formuliert: Stärken stärken, Schwächen schwächen, glauben, hoffen, lieben!


Dyness Kranzmann arbeitet im Gesundheitswesen. Karsten ist selbstständiger Supervisor, Seelsorger, und Referent (www.kranzmann.net). Sie sind seit 20 Jahren verheiratet und leben in Wuppertal