Menschen zweiter Klasse - vom falschen Umgang mit Singles

Valentinstag ist für manche Pärchen der schönste Tag im Jahr. Für viele Singles ist es der enttäuschendste Tag im Jahr. Oft tragen Kirchen ihren Teil dazu bei. In diesem Artikel werden 3 Fehler vorgestellt, die im Umgang mit Singles gemacht werden.
Menschen zweiter Klasse - vom falschen Umgang mit Singles

Wir leben in einer Gesellschaft, in der es uns übel aufstößt, wenn eine Gruppe von Menschen geringschätziger behandelt wird, als eine andere. Toleranz ist das Thema Nummer 1 in Fernsehen und Medien. Unsere Gesellschaft und besonders unsere Gemeinden haben aber ein Problem. Wir vergessen eine Gruppe. Eine ganz unscheinbare. Sie werden oft unbewusst ausgegrenzt. Ihr Leben wird an vielen Stellen als nicht lebenswert abgestempelt, ohne sich im Klaren darüber zu sein oder darüber nachzudenken, was es in diesen Personen auslöst. Wir begegnen diesen Menschen tagtäglich auf der Arbeit, in unseren Freundeskreisen und in unseren Gemeiden. 2021 lebten in Deutschland rund 22,69 Millionen dieser Personen. Wer könnte das sein? 

 

Die Rede ist von Singles. 

 

Warum schreibe ich diesen Artikel? Weil ich ein frustrierter Single bin, der sich ungerecht behandelt fühlt? Weil ich anderen Paaren ihr Glück nicht gönne? Weil ich meinem Ärger Luft machen möchte? Nein. Ich habe vor nicht allzu langer Zeit Buch von Sam Allberry gelesen, der selbst seit Jahrzehnten als Single lebt. Das Buch hat mich beschämt. Sowohl in der Zeit als ich in einer Beziehung war, als auch in meiner Funktion als Leiter einer sich neu gründenden Gemeinde habe ich in der Vergangenheit ziemlich versagt. Auf mehreren Gebieten, aber insbesondere auf einem. Bei meinem Denken über Singles und meinem Umgang mit ihnen. Ich habe gemerkt, dass das Thema Singlesein in Kirchen und Gemeinden und in Leitungskreisen viel zu wenig thematisiert wird. Ein Großteil der Menschen, die heute in unsere Gemeinden kommen sind Singles und wir beschäftigen uns nur sehr wenig mit ihrer, oft nicht leichten, Lebensrealität. Das muss sich ändern. Gemeinde sollte kein Ort sein, an dem es Menschen zweiter Klasse gibt, selbst wenn wir sie so niemals bezeichnen würden. Wir müssen dafür sensibilisieren, wie man solchen Menschen Wertschätzung entgegenbringt und ihnen eine Identität zuspricht, die nicht davon abhängig ist, ob man einen Partner hat oder nicht. 

 

3 Fehler, die wir im Umgang mit Singles machen 

 

Wir setzen einen zu starken inhaltlichen Fokus auf das Thema Partnerschaft 

 

Relativ zu Beginn unserer Gemeindegründung haben wir eine Predigtreihe zum Thema „REALationship“ (Echte Beziehung) gemacht. Wir glaubten, dass gute Ehen das Fundament einer guten Gemeinde sind. Und unbestritten sind sie ein wichtiger Teil. Aber sie sind nicht der einzige Teil. Es gibt in Deutschland, wie in vielen westlichen Ländern immer mehr Singles. Somit füllen sich auch unsere Gemeinden mit Menschen, die in keiner Partnerschaft leben. Es ist nicht mehr die Regel, dass die Gemeinde voll mit Familien ist, die in drei oder manchmal sogar vier Generationen vertreten sind. Immer mehr kommen alleine. Das bedeutet zwei Dinge:

 

1.     Predigtthemen dürfen nicht nur Verheiratete betreffen 

 

In unserer Predigtreihe zum Thema „Echte Beziehungen“ haben wir immer wieder versucht, Prinzipien, die für eine feste Beziehung gelten, auf freundschaftliche Beziehungen zu übertragen. Es gab z.B. nach jeder Predigt ein paar Fragen für „REALtalk“ (offenes und ehrliches Gespräch). Wir haben uns bewusst dazu entschieden zwei Fragebögen zu erstellen. Einen für Personen, die in einer festen Beziehung sind und einen für Singles, die etwas abgewandelte Fragen mit ihren Freunden besprechen konnten. Auch wenn wir versucht haben, jede Personengruppe abzudecken, lag der Fokus in dieser Serie eher auf Personen in einer Beziehung. Das ist auch mal okay. Aber es darf nicht dazu kommen, dass Singles das Gefühl bekommen an einem falschem Ort zu sein, an dem es nur um Themen geht, die sie nicht betreffen. 

 

2.     Predigtbeispiele dürfen nicht nur Verheiratete betreffen 

 

Viele der Prediger und Leiter sind verheiratet. Wenn sie Beispiele oder Anwendungen erklären, beziehen sie sich dabei natürlicherweise häufig auf ihre eigene Lebensrealität. Predigt ein Pastor über Stille Zeit könnte ein Beispiel sein: „Wer kennt es nicht, die Kinder müssen morgens fertig gemacht und zur Schule gebracht werden. Da herrscht so ein Chaos, da bleibt gefühlt keine Minute, um mit Gott Zeit zu verbringen.“

Das Thema Geduld: „Dein Mann lässt zum vierten Mal in dieser Woche seine Socken auf dem Boden liegen. Wie reagierst du? Erinnerst du ihn liebevoll daran, diese wegzuräumen oder schnauzt du ihn an?“

 

Ganz unbewusst wählen Prediger häufig Beispiele aus ihrem eigenen Leben, weil diese für sie am nächsten sind. Sie denken: „Wenn das für mich ein Thema ist, dann wird es für andere auch eines sein.“ Es ist gut, wenn wir authentisch sind und auch Beispiele aus unserem Leben verwenden. Aber es ist wichtig, dass sich jede Personengruppe in den Beispielen wiederfinden kann. Das 14-jährige Mädchen, was gerade in der neunten Klasse ist, der 25-jährige Single-Student, dessen Freunde gerade alle heiraten und auch die 82-jährige Witwe, deren Leben wiederum ganz anders aussieht. 

 

Wir verherrlichen Ehe übermäßig, sodass der Eindruck entsteht ein Leben ohne sei sinnlos 

 

Bei uns in der Gemeinde bekommen Paare, wenn sie sich verloben ein Geschenk. Sie werden nach vorne gebeten, werden feierlich gesegnet, es wird für sie gebeten, sie bekommen ein metaphorisches Geschenk (wie z.B. ein Anlasserkabel) und ihnen wird ein Gutschein für ein Ehe-Starter-Seminar überreicht. Alle freuen sich mit, viele umarmen das Paar und alle klatschen. Ich mag diese Gewohnheit. Ich finde es toll, die Liebe von zwei Menschen zu zelebrieren, die Gott zusammengeführt hat. 

 

Doch wenn ich etwas näher darauf schaue, dann fällt mir etwas auf. All das kann manchmal den Eindruck vermitteln, dass wenn man das geschafft hat, sein Lebensziel erreicht hat. Es gibt wenig andere Momente in denen Menschen in der Gemeinde so zelebriert werden, wie wenn sie sich verloben oder das Ja-Wort geben. Etwas überspitzt gesagt, gibt es wohl keinen anderen Anlass im Leben, den man so feiern könnte, wie das Finden des Partners fürs Leben. Wie bereits erwähnt: Ich liebe diese Gewohnheit und wünsche, dass sie immer fortbestehen bleibt. Ich möchte nicht, dass wir damit aufhören. Ich wünsche mir aber, dass wir uns der Wirkung dessen bewusstwerden und darüber nachdenken, wie wir dem Leben von Menschen, die Singles sind und vielleicht bleiben einen genau so großen Wert zusprechen. Sie genau so feiern. Eben für etwas anderes. Dass wir ihnen immer wieder zeigen, dass ein Leben als Single auch lebenswert ist. 

 

Dabei muss man jedoch aufpassen, wie man das tut. Als Verheirateter Leiter zu einem 27-jährigen Single zu gehen und ihm zu sagen: „Toll, dass du Single bist, Gott kann dich so viel mehr gebrauchen als mich, weil ich so viel Arbeit mit meinen Kindern habe.“ ist nicht so weise. Generell sollte man als Mensch, der in einer Beziehung lebt, sehr vorsichtig sein, wie man mit Singles spricht. Vieles von dem, was man sagt, könnte falsch aufgenommen werden. Man fühlt sich missverstanden und denkt vielleicht: „Der hat gut Reden. Der hat ja alles, was ich mir wünsche.“

 

Hier ein paar Beispiele, wie du einem Single Wertschätzung entgegenbringen und zeigen kannst, dass sein Leben lebenswert ist: 

 

-       Wir sind so dankbar für deine Arbeit in der Gemeinde, ich wüsste nicht, wie wir als Gemeinde ohne dich dastünden. 

-       Ich bin stolz auf dich, dass du dein Studium so konsequent durchziehst. Dein Einsatz wird sich auszahlen. 

-       Danke für deine Freundschaft. Ich kann mich glücklich schätzen, dich als Freund zu haben. 

-       Ich bewundere dich, für die Begabungen, die Gott dir gegeben hat. 

-       Du bereicherst unsere Gemeinschaft einfach, weil du du bist.

-       Du inspirierst mich. 

-       Man ist gerne in der Nähe 

 

Manchmal fällt uns Christen schwer, menschliche Erfolge zu feiern.  Wir können das Erreichen der Ehe feiern, aber ein abgeschlossenes Studium, bei dem Gott Erfolg geschenkt hat nicht. Warum nicht? Warum können wir uns nicht mit jemanden freuen, der seinen Bachelor gemacht hat und ihm unsere Wertschätzung ausdrücken, dass er dafür viel Zeit und Mühe aufgewendet hat. Beide gehen ihren Weg mit Jesus und tun das, wohin Gott sie in dieser Lebensphase geführt hat. 

 

Lass uns also anfangen mit Menschen zu feiern, die andere tolle Momente erlebt haben.

 

Man könnte als Gemeinde zum Beispiel zum Bachelor-Abschluss gratulieren und in dem Zuge einen Dank aussprechen, dass sich die Person in diesen Jahren trotzdem immer wieder Zeit für ehrenamtliche Tätigkeiten genommen hat. Dazu könnte man einen Gutschein für eine schöne Therme schenken, sodass sich die Person von all den Strapazen etwas erholen kann. 

 

Jemand arbeitet mittlerweile 5 Jahre im Kindergottesdienst mit? Vielleicht ist es Zeit im nächsten Gottesdienst ein Dank auszusprechen und einen großen Blumenstrauß zu überreichen. 

 

Jemand, der offen darüber spricht, ist von einer Sucht losgeworden? Lass uns ihn feiern, für ihn beten und ihn segnen!

 

Es geht nicht darum Menschen für Leistung zu verherrlichen. Es geht darum Wertschätzung auszudrücken. Am Leben der Menschen teilzuhaben. Zu zeigen, dass man sich auch über andere Dinge im Leben freuen kann, als eine Hochzeit. Das brauchen wir in unseren Gemeinden, in denen es immer mehr Singles gibt. Das Leben ist gut und kann Freude machen, selbst wenn man keinen Partner hat. Das ist die Botschaft, die wir verbreiten müssen, ohne sie von oben herab zu predigen.

 

Wir schließen Singles unbewusst aus Gemeinschaft aus 

 

Familie Müller lädt Familie Meier sonntags nach dem Gottesdienst zum Essen ein. Die Kinder gehen zusammen in den Kindergarten, daher kennen sich die Familien sehr gut. 

 

Das Pärchen, was sich gerade verlobt hat lädt zum Spieleabend ein. Zwei andere Paare sind eingeladen. Das passt ganz gut, wenn man Zweierteams braucht. 

 

Vier Familien aus der Gemeinde verstehen sich seit Jahren gut. Sie planen einen gemeinsamen Urlaub. Es gibt da eine 37-jährige Frau, die Single ist. Aber das passt von den Autos dann nicht mehr so gut und außerdem verändert sich die Gruppendynamik bestimmt. 

 

Mehrere Familien treffen sich zum Plätzchenbacken. Der 29-jährige Alleinstehende hat bestimmt keine Lust mitzumachen. Wir brauchen ihn also nicht fragen. 

 

All das sind Alltagssituationen, in denen Singles oft unbewusst, manchmal bewusst aus Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Die natürlichen Dynamiken ergeben sich halt einfach und es entstehen oft Interessengemeinschaften, die oft auf gemeinsame Lebensabschnitte beruhen. Der Single scheint nur in keiner dieser Lebenssituationen hinein zu passen. Er hat keine Kinder, also hat er bestimmt kein Interesse daran, mit einer Familie in den Park zu gehen oder Kekse zu backen. Ein Single unter 3 Pärchen? Das fühlt sich (manchmal) zu recht komisch an. 

 

Das wonach sich Singles aber am meisten sehnen ist Gemeinschaft. Natürlich wünschen sie sich unter Umständen auch eine Partnerschaft. Aber sofern diese nicht in näherer Aussicht ist, brauchen diese Menschen Gemeinschaft. Gemeinschaft mit Menschen aus ihrem Umfeld. Sie leiden darunter, alleine zu sein, während andere zusammen Zeit verbringen. Natürlich kann es auch Herausforderungen für einen Single mit sich bringen, an einem Spieleabend teilzunehmen, an dem alle verpartnert sind, außer er selbst. Deshalb ist es an diesen Stellen auch wichtig Rücksicht auf Alleinstehende zu nehmen. Als junges Paar hat man wahrscheinlich viel Zeit Zärtlichkeiten auszutauschen. Vielleicht schafft man es also für drei Stunden nicht ständig die Zunge im Hals des Partners zu haben oder jeden Satz, den man mit seinem Partner wechselt, mit „Schatz“ zu beenden. Ich glaube, dass es Möglichkeit ist, dass aus 3 Paaren und einem Single für ein paar Abende im Monat 7 Freunde werden können, die einen schönen Abend verbringen. Ich glaube, dass möglich ist, dass aus zwei Familien, die einen Sonntag zusammen im Park verbringen, eine Gruppe bunt gemischter Menschen werden können, die eine tolle Zeit zusammen haben. Das muss nicht jedes Mal so sein. Es darf Pärchenabende geben. Es darf Urlaube geben, in denen man nur mit den engsten befreundeten Familien unterwegs ist. 

 

Lasst uns ein Auge darauf haben, Singles nicht unbewusst aus Gemeinschaft auszuschließen, nur weil sie in einer anderen Lebensphase sind. Lass uns im Hinterkopf behalten, dass nur weil wir denken, dass ein Single nicht gerne Plätzchen mit anderen Familien backt, es nicht zwingend der Realität entspricht. Manchmal bedeutet das Opfer zu bringen. Gewohntes aufzugeben. Aus der Komfortzone herauszugehen. Aber das ist genau das, was Jesus tat. Er verbrachte Zeit mit Menschen, die nicht nur zu seinem engsten Kreis gehörten. Er kümmerte sich besonders um die, welche sich alleine fühlten. Lasst uns Jesus als Vorbild nehmen.