Kritik und Identität

Kritik kann ziemlich hart sein. Manchmal so hart, dass es anfängt unsere Identität in Frage zu stellen. Was kann helfen, Kritik von unserer Identität zu trennen?
 Kritik und Identität

Ich liebe Feedback. So lange es gut ist. Es stärkt mein Selbstbewusstsein und es tut gut. Es motiviert mich weiter zu machen und meine Gaben für Gott einzusetzen. Anders sieht es aus, wenn ich von Menschen kritisiert werde. Wenn ich plötzlich merke, dass nicht alle begeistert sind von dem was ich tue. Ich bin geknickt, verunsichert, enttäuscht und manchmal auch wütend. 

Wie geht es dir, wenn du von anderen Menschen kritisiert wirst? Wie wirkt sich das auf deine Identität aus? 

 

Wir Menschen haben eine besondere Gabe: Wir können uns besonders gut merken, was andere Negatives über uns sagen. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Sagt man mir 9 gute Dinge und kritisiert mich in einem Punkt, dann werde ich abends im Bett keinen Gedanken an die 9 guten Dinge verschwenden, die man mir gesagt hat. Ich werde über den Kritikpunkt nachdenken. Den ganzen Abend. „Was habe ich falsch gemacht? Ich habe es doch gut gemeint?! Er versteht einfach nicht, warum ich das gemacht habe. Eigentlich bin ich doch im Recht? Wie kann er mich kritisieren – er sollte besser mal in sein eigenes Leben gucken. So schlecht wie er bin ich doch nicht? Eigentlich bin ich doch ein ganz guter Christ oder nicht? Hat er jetzt etwas gegen mich als Person?“

 

Und plötzlich wird Kritik zu einer Identitätsfrage. Wer bin ich? Darf ich Fehler machen? Bin ich noch geliebt, wenn ich Fehler mache? 

 

Kritik gehört zum Leben dazu 

Ich bin in den vergangenen Jahren ziemlich häufig kritisiert worden. Oft zu Recht. Manchmal auch nicht. Gerade als ambitionierter und visionärer Mensch wird man häufig kritisiert. Man hat viele Ideen, wie man Dinge verändern könnte. Man brennt für seine Idee und geht mit Mut voran. Als junger Mensch fehlt einem oft die Weitsicht, sodass man in seiner Leidenschaft etwas übermütig ist. Man schießt übers Ziel hinaus. Es ist ganz normal und richtig, dass wir dann manchmal gebremst werden müssen. 

 

Doch selbst, wenn ich nichts falsch mache, kann es sein, dass es Menschen gibt, die mit Unbehagen auf mein Verhalten reagieren, weil sie anders aufgewachsen sind. Sie sind verunsichert und vielleicht sogar beängstigt von neuen Ideen. Sie kritisieren. Manchmal auf gute Art und Weise. Manchmal auf weniger gute Art und Weise. 

 

So musste ich in den letzten Jahren immer wieder lernen, Kritik separiert von meiner Identität zu sehen, auch wenn mich das vor große Herausforderungen gestellt hat. Es gab Momente, in denen mich Menschen zutiefst und grundsätzlich kritisiert haben, in denen ich sehr wohl starke Zweifel an meiner Identität bekommen habe. Eines Sonntags verlies ein Gottesdienstbesucher während meiner Predigt den Raum mit den Worten „Jetzt reicht es aber“. Das war wie ein Schlag ins Gesicht und fühlte sich nicht danach an, als sei es lediglich eine Kritik an meiner Predigt.

 

Immer wieder wurde ich in den letzten Jahren mit Kritik solcher Art (manchmal noch extremer) konfrontiert. Begleitet von einem ständigen Ringen mit ehrlicher Reflexion, Stolz, Enttäuschung, Wut und Selbstzweifel. 

 

3 Gedanken haben mir geholfen, Kritik von meiner Identität zu trennen. 

 

"Simul iustus et peccator"

 „Gerecht und zugleich Sünder“. So beschreibt Luther den Zustand des Menschen. Auch wenn die These von Luther nicht unumstritten ist und oft missverstanden wird, hilft es uns mit Kritik umzugehen. 

Kurzer Exkurs: Einige Christen stoßen sich an der These Luthers, dass Christen Sünder sind. Sie sind der richtigen Auffassung, dass wir vor Gott gerechtfertigt und deshalb keine Sünder, sondern Heilige sind. Das stimmt, was unseren Status vor Gott betrifft. Wir leben allerdings immer noch in einer Welt der Unvollkommenheit. Jeder Mensch tut bis zu seinem Lebensende Dinge, die die Bibel Sünde nennt. Somit ist der Mensch, wenn man sein irdisches Handeln beurteilt ein Sünder, der es bis zu seinem Lebensende bleibt. 

 

Wenn ich nun davon ausgehe, dass ich ein fehlerhafter Mensch bin, der immer wieder Fehler macht, braucht es mich nicht verwundern oder verunsichern, wenn ich kritisiert werde. Es ist der normale Zustand des Menschen auf dieser Erde, dass er Fehler macht und korrigiert werden muss. Das ändert jedoch nichts daran, dass ich von Gott geliebt, angenommen und gerecht gesprochen bin. Ich bin sein Kind und er liebt mich unendlich, egal wie oft ich versage. 

Höchstwahrscheinlich hast du Eltern. Davon gehe ich einfach mal aus. Egal, was du tust, selbst wenn du im Haus deiner Eltern Ratten aussetzen würdest, Schlagersänger werden oder Bayernfan werden würdest (Ja ich bin Dortmundfan) würdet du Sohn oder Tochter deiner Eltern bleiben. 

Genau so ändert Kritik nichts an deiner Identität, auch wenn es sich sehr stark danach anfühlen kann. 

Und die gute Nachricht: Du bist nicht alleine damit. Jeder Mensch. Ausnahmslos jeder Mensch, der dich kritisiert, macht selbst immer wieder Fehler und braucht Korrektur, die auch an seiner Identität nichts ändert. 

 

Die Intention des Autors

Wenn du eine Schule besucht und Deutschunterricht hattest, wirst du Texte analysiert haben. Zentrale Aufgabe dabei war, die Intention des Autors zu verstehen. (Ehrlich gesagt kam mir das immer etwas willkürlich vor, wenn jemand meinte zu wissen, was Goethe nun wirklich sagen wollte; immerhin hat ihn keiner persönlich gefragt… Was auch immer). 

Genau das tun wir aber, wenn jemand uns kritisiert. Ich stelle mir eine große Maschine vor: Jemand kritisiert mich. Ich schmeiße die Kritik in die Maschine. Sie wird gedreht, gewendet, von oben und von unten gescannt und am Ende kommt eine gezielte Analyse raus, warum die Person was gesagt hat. Das Problem ist, diese Maschinen sind sehr schlecht darin. Aber es gibt Verhaltensweisen bei uns Menschen, die immer wieder vorkommen, die gewisse Regelmäßigkeiten aufweisen und uns helfen mögliche Ursachen für Kritik besser zu verstehen.

 

Ich möchte eine Erfahrung und einen praktischen Tipp mit dir teilen. Ich schätze bei 90% der Fälle, in denen ich im gemeindlichen Kontext kritisiert wurde, hatten die Kritisierenden eines gemeinsam: Angst. Angst vor Veränderung, Angst vor einer falschen Entwicklung, Angst vor schlechten Einflüssen, Angst vor einer Verwässerung von Gottes Wort, Angst in etwas hineingepresst zu werden. Wenn ich über die Intention der Kritisierenden nachdenke, kann es helfen, über potentielle Ängste dieser Personen Bescheid zu wissen. Es hilft mir zu verstehen, dass die Menschen nicht mich und meine Identität kritisieren, sondern dass sie vor einer bestimmten Sache Angst haben, mit der sie mich in Verbindung bringen. Auf der anderen Seite hilft mir ein Bewusstsein für die Ängste der anderen mich in sie hinein zu versetzen, um dann Dinge klarer, transparenter und sensibler kommunizieren zu können. 

 

Also: Gehe grundsätzlich erst einmal davon aus, dass die Menschen nicht deine Person kritisieren, sondern dass oft andere Beweggründe dahinterstecken, die nichts mit dir zutun haben. 

 

Doch manchmal ist es nicht so einfach, dass wir direkt verstehen, was die Beweggründe der Kritisierenden sind. Dann hilft es in den Dialog zu gehen. Zu fragen, was genau gemeint ist. Nicht in einer abwehrenden, verteidigenden Haltung. In einer offenen Haltung, die vermittelt: „Ich habe deine Kritik wahrgenommen und möchte sie tiefer verstehen.“ Weil wir eben oft sehr schlecht darin sind, selbst herauszufinden, was andere wirklich meinen. 

 

Kritik ist unbezahlbar 

Unser Auto hat einen „Toter-Winkel-Assistent“. Mehr als einmal hat mich dieser davor bewahrt einen Unfall zu bauen. Warum? Weil er mich auf das hingewiesen hat, was ich nicht so einfach sehen konnte. Noch nie habe ich mich geärgert und gedacht: „Dieser Blöde Assistent hat mich gerade kritisiert, er meint bestimmt, dass ich kein Auto fahren kann“. Jedes Mal war ich froh und dankbar über seine „Kritik“. 

 

So möchte ich Kritik im Alltag verstehen. Als Möglichkeit blinde Flecken in meinem Leben zu entdecken, auf die ich sonst nicht gekommen wäre. Das ist im ersten Moment manchmal nicht einfach, aber es hilft uns als Mensch, als Leiter, Freund, oder Ehepartner zu wachsen. Es ist Life Coaching, dass unbezahlbar ist, da ich selber nur schwer in der Lage wäre das zu sehen, was der andere an mir gesehen hat. 

 

Letztens durfte ich das üben. Ich habe einen Artikel für STEPS-Leaders geschrieben. Mit voller Leidenschaft. Kurze Zeit später bekam ich ein ausführliches Feedback, dass in etwa um das Dreifache länger war, als der Artikel selbst. Im ersten Moment habe ich mich angegriffen gefühlt. Aber umso mehr ich mich mit anderen darüber ausgetauscht habe, desto mehr habe ich gemerkt, dass die Person in manchen Punkten recht hatte. Auch wenn wir inhaltlich weiterhin Differenzen haben, ist mir bewusst geworden, dass ich nicht weise kommuniziert habe. Das war mir vorher überhaupt nicht bewusst gewesen. Ich konnte am Ende tatsächlich ein Stück Dankbarkeit für die Kritik empfinden, weil ich gemerkt habe, dass es mich geformt hat und ich dazu gelernt habe. 

 

Und jetzt?

Das wünsche ich mir auch für dich. Wenn du kritisiert wirst, bedenke: Wir alle machen immer wieder Fehler und brauchen Korrektur. Wir sind nicht perfekt und werden es auf dieser Erde niemals sein. Deshalb werden wir bis zu unserem Lebensende immer wieder kritisiert werden. Und das ist okay. Wenn du kritisiert wirst, dann denke darüber nach, dass manchmal Beweggründe dahinterstecken, die nichts mit dir zu tun haben. Wenn du unsicher bist, dann sprich die Person an und frag nach, was der Grund für die Kritik ist – welche Emotionen dahinterstecken und wie du diesen begegnen kannst. Und zum Schluss: Versuche Kritik als unbezahlbares Geschenk zu sehen, dass dir einen Blick auf dich gewährt, den du selbst niemals hättest. Eine Chance, zu dem Menschen zu werden, den Gott in dir sieht. 

 

So kannst du es schaffen, Kritik von deiner Identität zu trennen. Natürlich ist das kein Patentrezept, was immer und zu jeder Zeit funktioniert. Jeder Mensch ist anders und nimmt Kritik individuell wahr. Die drei Tipps sollen helfen, einen Prozess in Gang zu setzten, der langfristig darauf ausgelegt ist, deine Identität in Jesus zu finden. Es sind Tools, die mein Denken geprägt mir persönlich geholfen haben, besser mit negativer Kritik umzugehen. 

 

Wie nimmst du Kritik persönlich wahr? Was hilft dir, deine Identität von Kritik zu trennen? Schreib mir gerne!