Gottesfurcht, die in die Enge führt

Gottesfurcht ist wichtig. Doch falsch gelebte Gottesfurcht führt Menschen von Christus weg.
Gottesfurcht, die in die Enge führt

Gottesfurcht. Fast unsichtbar schlummerte das Thema vor sich hin. Jetzt boomt es in der jungen Generation. Zum ersten Mal ist es mir vor 3-4 Jahren im Gespräch mit verschiedenen Jugendlichen aufgefallen. Auch bei STEPS, wo ich in Kontakt mit Jugendlichen aus ganz Deutschland stehe, bekommen wir über Nachrichten und unsere Hangouts mit, dass das Thema grade 2020 und 2021 viele weitergebracht hat. Viele holen das Thema auf die Prio-1-Liste. Richtig wichtig. Ich feiere das, wenn Menschen berichten, wie sich ihre Beziehung zu Gott zum Positiven ändert. Wenn Erkenntnis, ein besonderes Highlight und die Beschäftigung mit der Bibel bewirken, dass Menschen Jesus hingegebener nachfolgen, im Glauben Gas geben und Gott und Menschen lieben. Feiere ich wirklich!  

Der Artikel ist eine Leitplanke, damit man vor lauter Vollgas nicht die Klippen runterschlittert. Ich hatte nämlich den Eindruck, dass das Thema manchmal diesen Touch bekam: “Es läuft bei dir im Glauben nicht gut? – Versuch es mal mit Gottesfurcht! Das ist das, was du brauchst.” Und hey: Anscheinend “funktioniert” der Glaube dann erst “richtig”. Oder es fühlt sich zumindest besser an.  

Und hier kommt jetzt eine Einschränkung zu dem Thema: Leider habe ich durch den Fokus auf Gottesfurcht vereinzelt schon mitbekommen, dass Menschen sich einigeln. Einander meiden und sich trennen. Von Menschen, die das Leben anders sehen, nicht so heilig erscheinen wie ich selbst, die noch nicht so weit sind und vor allem von Menschen, die Jesus ganz besonders brauchen würden.  

Gottesfurcht führte manche also nicht zuerst zum wichtigsten Gebot, sondern paradoxerweise davon weg.

Wie konnte das sein? Das hat mir echt Kopfzerbrechen gemacht. Die Furcht des Herrn sollte ja dazu führen, Gottes größtes Anliegen ernsthaft und voller Leidenschaft im Alltag zu haben. Umgeben von Menschen, eifrig daran arbeitend Gottes Gnade mit Barmherzigkeit zu zeigen. Dem Nächsten mit Gnade, Empathie und Verständnis zu begegnen.  

Manche basteln dagegen sogar an einer neuen Gesetzlichkeit und Verbotskultur. Dankbarkeit, Freude und Genuss nehmen in ihrem Leben ab. Klammheimlich nistet sich so direkt in der Nähe der Gottesfurcht eine “neue Enge” ein und bringt Zwänge, Ängste und Beklommenheit gleich mit. Menschen, die es vorher schon ernst gemeint haben, meinen es jetzt ganz ernst und verzichten auf Kultur, auf Spiele, auf Musik, auf Spaß und Freude. Kann ich einerseits voll nachvollziehen, wenn das aus guten Gründen gemacht wird. Aber ich kenne es aus meiner eigenen Vita, dass es nicht dabei bleibt. Vor lauter Furcht fällt es uns leicht “die Minze zu verzehnten”, das Evangelium zu vertauschen und anderen folgende frohe Botschaft zu bringen: “Weißt du nichts von Gottesfurcht, dann weißt du nichts von Gott.” 

Wenn Gottesfurcht mich nicht Gott genießen lässt, und auch Freude an seiner Schöpfung und an seinen Geschöpfen zu haben, stimmt was nicht.

Wenn Gottesfurcht mich nicht zum Nächsten zieht und beim Nachbarn sitzen lässt, stimmt was nicht. Wenn Gottesfurcht mich skeptisch und misstrauisch werden lässt, statt vertrauensvolles Salz und Licht, stimmt was nicht. Wenn Gottesfurcht mich nicht in die Freiheit führt, sondern sich in meiner Nähe Menschen hart behandelt fühlen oder anfangen, unsicher zu werden, stimmt was nicht. Wenn durch Gottesfurcht Verwirrung und Missverständnisse statt Klarheit entstehen, stimmt was nicht. Wenn Gottesfurcht mich zur Kontrolle führt und mich zu einem überlegenen Rechthaber macht, stimmt was nicht. “Weißt du nichts von Gottesfurcht, dann weißt du nichts von Gott”, ist dann im Hinblick auf das Evangelium Jesu Christi nur religiöses Cherry-Picking. 

Und so möchte ich auch den neuen “Gottesfurcht-Trend" evangeliumszentriert und nicht religionszentriert deuten. Paulus nennt das Geheimnis der Gottesfurcht nicht Bemühungen, neue Gebote, einen neuen Lebensstil oder Verzicht, sondern Christus (vgl. 1. Timotheus 3,16). Ich schließe daraus, dass der konstante Fokus auf Jesus Christus bedeutet (vgl. Johannes 15,1-8), sich im Neuen Bund mit rechter Gottesfurcht zu beschäftigen. Wenn wir Gottesfurcht also evangeliumszentriert und christusgemäß denken, führt uns das immer in die Weite von Christus. In Christus stecken damit also nicht nur der Anfang (vgl. Sprüche 1,7), sondern alle Schätze der Erkenntnis (vgl. Kolosser 2,3). 

An diesen Fragen denke ich grade weiter: 

  1. Warum kommt "an Gott glauben” im AT kaum und “Gott fürchten” so häufig vor? Und gleichzeitig: Warum kommt "Gott fürchten" kaum im NT und “an Gott glauben” so häufig vor? 

  2. Warum beginnt die direkte Gottesbegegnung so oft mit Gottesfurcht? Warum sagt Gott so häufig in der direkten Begegnung: “Fürchte dich nicht”? 

  3. Wo verorte ich in meinem Lebenslauf als Christ, Gottesfurcht als Anfang der Erkenntnis? 

  4. Wer sind die “Gottesfürchtigen” in der Apostelgeschichte? 

  5. Kann man Gott fürchten und Christus verpassen? Führt Gottesfurcht zu Christus oder Christus zu Gottesfurcht? 

Ich will sensibel dafür machen, zu beobachten und im Gespräch mit weisen Geschwistern zu hinterfragen, wohin mich der Fokus auf ein besonderes Thema bringt. Ich möchte, dass dieser Artikel im Gesamtkontext zu unseren anderen Artikeln über Gottesfurcht gelesen wird und mein Gebet ist, dass er im Zusammenspiel mit ihnen eine echte christuszentrierte Ausgewogenheit ergibt.