Ein Textschaubild erstellen

Das Textschaubild ist eine gute Hilfe um einen Bibelabschnitt gut zu verstehen. Hier kannst du lernen, wie diese Methode angewandt werden kann
Ein Textschaubild erstellen
Wie kann nun der auf eine Übersetzung angewiesene Ausleger die strukturelle Gedankenentfaltung eines Bibelabschnittes genau nachvollziehen?
Die strukturelle Analyse analysiert und visualisiert mit Hilfe eines Textschaubildes Gestalt und Gehalt der Texteinheit.

Das Textschaubild anfertigen

Wer nicht von den biblischen Grundsprachen ausgeht, braucht für das Erstellen eines Textschaubildes eine möglichst wortgetreue (konkordante) Übersetzung, etwa die revidierte Elberfelder Übersetzung. Auf Schritt und Tritt muss er nun entscheiden, wie die Zusammenhänge im Text sind: welche Satzteile übergeordnet und welche untergeordnet sind und worauf sich die einzelnen Gliedaussagen jeweils beziehen. Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Vorgehen ist hierbei, dass die verschiedenen Verbindungswörter genauestens beachtet werden und ihre Funktion für die Gedankenentfaltung im Satz analysiert wird. Jetzt werden also die bisher beobachteten Signale der formalen und inhaltlichen Analyse (betreffs Textgestalt und Textgehalt) zusammengeführt, um die Struktur des Textes aufzudecken. Dazu werden Form (Gestalt) und Inhalt (Gehalt) zueinander in Bezug gesetzt. Die strukturelle Analyse hilft uns, uns auf das Wesentliche der Texteinheit zu konzentrieren und Nebensächlichkeiten und persönliche Interessen und Neigungen nicht in den Mittelpunkt zu rücken.

Praktische Leitlinien für den Arbeitsschritt:

  • Am linken Blattrand bleibt eine Spalte, in der die Versangaben eingetragen werden.
  • Die übergeordneten Textaussagen stehen weiter links, untergeordnete Aussagen werden nach rechts eingerückt.
  • Durch Klammern unter der Zeile können bestimmte Sinneinheiten innerhalb eines Satzes gekennzeichnet werden (untergeordnete Gedanken beziehen sich oft nicht nur auf ein einzelnes Wort, sondern auf solch eine Sinneinheit).
  • Durch Pfeile und senkrechte Linien wird deutlich gemacht, worauf sich die untergeordneten Gedanken beziehen.
  • Durch senkrecht angeordnete Klammern können parallele Aussagen gekennzeichnet werden.
  • Gleichgeordnete Aussagen werden nicht eingerückt, sondern untereinander geschrieben. Das Gleiche gilt, wenn ein Satz aus Raumgrün-den nicht nach rechts hin weitergeschrieben werden kann: Man beginnt dann direkt unter dem Anfang der oberen Zeile eine zweite.

Was in der Theorie zunächst wenig anschaulich und kompliziert klingen mag, erweist sich in der Praxis mit nur wenig Übung als recht einfach – und ist im Ergebnis sehr hilfreich. Vor allem bietet die graphische Darstellung eine gute optische Veranschaulichung der Textstruktur, die es ungemein erleichtert, den Text entsprechend den Gedanken des biblischen Autors zu gliedern.

Zur Veranschaulichung wenden wir uns zunächst Kolosser 1,9-12 zu. Liest man diesen langen paulinischen Satz, geht leicht der Überblick verloren. Wie entfaltet sich der Gedankengang? Wie hängen die einzelnen Gedankenelemente im Text zusammen? Das Textschaubild kann diese Fragen klären helfen:

Der Ausleger, der nach all den vorangehenden Einzeluntersuchungen ein Textschaubild erstellt hat, versteht nun die Zusammenhänge in seinem Text sowohl im Ganzen wie im Einzelnen. Zweifellos lässt sich auf dieser Basis eine gründliche Auslegungspredigt, Bibelarbeit oder Andacht leichter erarbeiten, als wenn der Ausleger am Ende seiner exegetischen Arbeit vor einem Berg von Einzelinformationen stehen bleibt. Vermittelt die Geschichts-, Gattungs-, Sach- und Begriffsanalyse dem Ausleger in der Predigt- oder Andachtsvorbereitung theologischen Tiefblick, so gibt ihm die Strukturanalyse geordneten Durchblick für die Textzusammenhänge. Ohne diesen Durchblick steht der Kommunikator der biblischen Botschaft in der Gefahr, in Einzelbeobachtungen stecken zu bleiben anstatt der Hörerschaft den Text in seiner Entfaltung zu erschließen. Aus diesem Grund ist es nun auch wichtig, die visualisierte Textstruktur in eine sprechende Form zu überführen, die begründet über den Gedankenfluss der Texteinheit Auskunft gibt.

Die Struktur der Texteinheit entfalten

Betrachtet man das Textschaubild zu Kolosser 1,9-12, so wird sofort die dreigliedrige Struktur der Texteinheit sichtbar:

Kernaussage (V 9a): Paulus übt Fürbitte.

Unmittelbares Ziel (V 9b): Erkenntnis des Willens Gottes.

Endziel (V 10-12): Würdiger Wandel, der drei Kennzeichen hat:

  • Fruchtbarkeit in jedem guten Werk (V 10);
  • Standhaftigkeit in der Kraft Gottes (V 11);
  • Dankbarkeit gegenüber dem himmlischen Vater (V 12).

Daraus lässt sich nun folgender Textaufbau ab-leiten, der den Gedankenfluss der Texteinheit widerspiegelt und den roten Faden im Text zu berücksichtigen hilft:

  1. Zusage der Fürbitte (V 9a)
  2. Zweck der Fürbitte (V 9b)
  3. Ziel der Fürbitte (V 10-12)

Durch die Entfaltung der Textstruktur hat der Ausleger den Hauptgedanken des Textes und die Entfaltung des Gedankenflusses der Texteinheit nun zu Tage gefördert. Mit diesem Wissen können jetzt die noch offenen inhaltlichen theologischen Sachfragen gelöst werden, ohne dass man sich in Nebensächlichkeiten verliert.

Mit freundlicher Genehmigung aus „Bibelauslegung praktisch“, Helge Stadelmann, SCM R. Brockhaus.